Restitution
Restitution
Restitutionsdebatte in Europa
«In der Restitutionsdebatte, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wie mit den Ethnographica, Kunstwerken und Naturalia umgegangen werden soll, die während der Kolonialzeit nach Europa gebracht wurden, geht es auch um eine Neubewertung europäischer Geschichte» schreibt Rebekka Habermas.
Diese Diskussion wird in Europa nicht zum ersten Mal geführt. Bereits in den 1960er Jahren wurde im Zusammenhang mit Forderungen nach Rückgabe von Artefakten von verschiedenen Ursprungsgesellschaften die Frage der Restitution wenig erfolgreich diskutiert. Erst im neuen Jahrtausend und intensiv in den vergangenen Jahren findet eine Diskussion über den Umgang mit den kolonialen Objekten statt.
Der Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter verfasst vom senegalesischen Schriftsteller und Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr sowie der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy stellt einen Meilenstein im Zusammenhang mit der Restitutionsdebatte dar. Thema ist der Kontext und die Modalitäten der Restitution von afrikanischem Kulturerbe aus den öffentlichen Museen und Sammlungen in Frankreich. Im Zusammenhang mit diesem Bericht deklarierte der französische Präsident Macron, dass Frankreich geraubte Kunst zurückgeben wolle.
In ihrem Bericht schreiben Bénédicte Savoy und Felwin Sarr, dass 90 Prozent der afrikanischen Kulturgüter sich in europäischen Sammlungen, die direkt auf die Kolonialzeit zurückgehen, befinden. Dies gilt auch für Schweizer Museen.
Restitution aus der Sicht des kamerunischen Historikers Prince Alexander Kum’a Ndumbe III.
An einer Diskussion an der TU Berlin zum Auftakt der Konferenz „Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ fragt der kamerunische Historiker Prince Alexander Kum’a Ndumbe III. Lars-Christian Koch, den Leiter des Ethnologischen Museums
im Humboldt Forum: „Wer sind denn ihre afrikanischen Partner? Museen?“ Kum’a Ndumbe, der dem kamerunischen Königshaus der Bele Bele angehört, fährt fort: „Das Museum ist ein europäisches Konzept. Die Agencies wurden aus Königshäusern und heiligen Stätten geraubt, nicht aus Museen. Die Seele der kamerunischen Völker ist nicht in den Museen. Warum sind also das die Partner der Europäer? Europa sucht nach einem Ebenbild in Afrika.“ … „Deutschland ist voll, Kamerun ist leer. Die Objekte müssen zurück. Wir brauchen sie, um uns zu rekonstruieren“, sagt die kamerunische Germanistin Maryse Nsangou Njikam. Dass die geraubten Kulturgüter wieder an Kamerun zurückgegeben werden müssen, ist auf dem Podium Konsens. Tagesspiegel 2.6.23
22. Februar 2024: Vortrag von Prinz Kum’a Ndumbe III zum Thema Restitution, AfricAvenir International e.V. Link
Links und Literatur
Acht Expert:innen aus Benin City äussern sich zum Thema Restitution. Diese acht Zitate sind in der Publikation «In Bewegung. Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen». Hsg. E. Tisa Francini, A. Herzog, A. Malefakis, M. Oberhofer. Zürich 2024. S. 44 – 47.
Eugster, David. Koloniale Raubkunst: «Bei der Rückgabe gibt es kein Limit». David Eugster, 2.2.23 swissinfo, Link
Habermas, Rebekka. Restitutionsdebatten, koloniale Aphasie und die Frage, was Europa ausmacht. bpb 2019.
Über das Zurückgeben. Ein Interview von Gabriele Metzler mit Bénédicte Savoy. 2021 Zeitgeschichte. Link
Savoy, Bénédicte – Kolonialkunst muss zurück nach Afrika. Sternstunde Philosophie Oktober 2020 SRF.
Benin Bronzen – Begriff und historischer Hintergrund
Begriff Benin Bronzen
Was ist mit dem Begriff Benin Bronzen eigentlich gemeint? Eine Erklärung auf Deutschlandfunk Kultur lautet wie folgt:
„Benin-Bronzen“ ist ein Sammelbegriff für Kunstwerke, die sich bis 1897 als Schmuck am Palast des Königreichs Benin in der Stadt Benin befunden haben. Heute sind sie auf der ganzen Welt verteilt, vor allem in Europa und in den USA. Viele sollen nun aber zurückgegeben werden. Die Reliefs, Plastiken und Tafeln geben verschiedenste Motive wieder: Menschen und Tiere, Ahnendarstellungen, Gebrauchs- und Ritualgegenstände, manchmal zwei-, manchmal dreidimensional. Sie hingen an den Wänden des Palastes, innen wie außen, schmückten aber auch Ahnenschreine. Insgesamt sollten diese Arbeiten, die zum Teil schon im 16. Jahrhundert entstanden, den Oba, das politische und geistige Oberhaupt des Königreichs, aber auch die Königsmütter ehren. Damit sind die Benin-Bronzen auch Zeugnisse der jahrhundertealten Entwicklung der Kultur dieser Region und ihrer Menschen. Der Begriff „Bronzen“ ist allerdings etwas irreführend. Manche der mehreren Tausend bekannten Objekte wurden auch aus oder mit Holz, Textilien, Leder und anderen Metallen gefertigt.»
Benin – historischer Hintergrund
Mündlichen Überlieferungen zufolge wurde das Edo-Königreich etwa im 10. Jahrhundert gegründet und von einer Königsdynastie namens Ogiso regiert, die zunächst einen Hof in der Region von Benin City errichtete. Die Ogisos begründeten auch die Anfänge der Handwerksgilden im Palast, die zur Entwicklung der einzigartigen künstlerischen Traditionen des Königreichs in Elfenbein, Holz und Metall führten. Um 1200 n. Chr. sollen die Ogisos von der heutigen Dynastie abgelöst worden sein, als Prinz Oranmiyan aus dem benachbarten Königreich Ife eingeladen wurde, den Thron in Benin zu besteigen. Oranmiyan kehrte bald nach Ife zurück, hinterließ aber einen Sohn, der den neuen Titel Oba annahm, als er als höchste politische und religiöse Autorität im Edo-Königreich inthronisiert wurde.
Das 15. und 16. Jahrhundert sind die Zeit der größten territorialen Ausdehnung Benins durch militärische Eroberungen. Es ist auch die Zeit, in der Benin mit portugiesischen Handelsabenteurern an der Küste in Kontakt kam und begann, mit ihnen Handel zu treiben. Die portugiesischen Kaufleute führten neue Waren ein, darunter indische und europäische Stoffe, Korallenperlen und Geldarmbänder aus Messing, die in königliche und höfische Insignien eingearbeitet wurden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Edo-Königreich durch Nachfolgekonflikte geschwächt und verlor einen Teil seiner militärischen, politischen und wirtschaftlichen Macht. Gleichzeitig verstärkte sich der Druck auf den Oba, das Edo-Königreich für den «Freihandel» mit britischen Handelsunternehmen zu öffnen, da das britische Kaiserreich die Kontrolle über westafrikanische Märkte und Gebiete anstrebte. 1897 eroberten britische Truppen das Königreich Benin, verwüsteten die Hauptstadt und plünderten den Königspalast. Im Zusammenhang mit diesen Plünderungen wurden tausende von Bronzen ausser Landes geschafft und verkauft. Dementsprechend finden sich Teile dieser Beute über die ganze Welt verteilt in Sammlungen und Museen.
Text: siehe Webseite National Museum Scotland
Geschichtsbuch eines Königreichs. Die Benin-Bronzen. Deutschlandfunk Nova, Mai 2023 Link
Material für den Unterricht
Animationsfilm (8 Min.): Benin 1897: A Brief History. Der Animationsfilm erzählt die Geschichte des Königtums Benin und der Ereignisse von 1897 aus nigerianischer Perspektive. Produziert von Ronú Creative, entstanden für Digital Benin und die Ausstellung Benin. Geraubte Geschichte am Museum am Rothenbaum (MARKK), 2022. Link
Informationen zur Geschichte und der Bedeutung der Bronzetafeln: Saaltexte zur Ausstellung «Im Dialog mit Benin» im Rietbergmuseum (2024). Beginnend mit Kunst zur Erinnerung an die eigene Geschichte: Zur Bedeutung des Palastes Link
Digital Benin
Digital Benin – Plattform auf der Webseite des MARKK
Beschreibung auf der Webseite des MARKK: «Auf der digitalen Plattform werden die im späten 19. Jahrhundert geraubten und weltweit zerstreuten Kunstschätze aus dem Königreich Benin dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Initiiert wurde das Projekt im Oktober 2020 durch das Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Ein vierzehnköpfiges internationales Projektteam, unterstützt durch fünf wissenschaftliche Berater:innen in Nigeria, Kenia und den USA, machte sich an die Arbeit, weltweit Sammlungen zu kontaktieren, die relevanten Objektdaten zusammenzutragen und für die Plattform zu bearbeiten. Das Ergebnis: 131 Museen und Institutionen aus 20 Ländern, darunter Australien, Neuseeland, die Vereinigten Staaten, Kanada und Israel sowie 14 europäische Staaten, wirkten daran mit, über 5.246 Objekte zu dokumentieren. Als beispielloses Wissensforum stellt Digital Benin neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die die digitale Dokumentation der verlagerten Objekte mit mündlichen Überlieferungen, Objektforschung, historischen Zusammenhängen, einem grundlegenden Edo-Sprachkatalog, Provenienzangaben, einer Karte des Königreichs Benin und Museumssammlungen weltweit zusammenführt. Die fundierte, interaktive Plattform liefert somit den seit Langem geforderten Überblick zu den im 19. Jahrhundert geplünderten Hofkunstwerken, macht die Bestände erstmals sichtbar und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Katalog konzentriert sich auf Objekte, die im Februar 1897 von britischen Truppen aus dem Königreich Benin (heute Edo State, Nigeria) geplündert und unmittelbar danach über die ganze Welt verteilt wurden. Die historischen Benin-Objekte sind Ausdruck der Kunst, Kultur und Geschichte Benins und wurden ursprünglich als königliche Repräsentationskunst, zur Darstellung historischer Ereignisse, zur Kommunikation, in der Glaubenspraxis und zur Durchführung von Ritualen verwendet.»
Digital Benin: Homepage
Welche Museen haben die grössten Bestände?
Diskussion Restitution – Benin Bronzen international
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen International
Erste Rückforderungen wurden von Nigeria aus bereits in den 1930er Jahren gestellt. Weitere Anfragen in den 1950er und 1960er Jahren blieben erfolglos und wurden unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Erst in den letzten Jahren scheint hat ein Umdenken eingesetzt. Zahlreiche Briefe, die von Abba Tijani, Generaldirektor der Nationalen Museums- und Denkmalbehörde von Nigeria, geschrieben worden sind, werden zunehmend positiv beantwortet. Widerstand würde abnehmen und auch private Eigentümer:innen würden zunehmend bereit sein, die Artefakte zurückzugeben. Eine Ausnahme stellt Anfang 2023 immer noch das British Museum dar. Andererseits sind einige us-amerikanische sowie britische Institutionen bereit, Benin Bronzen an Nigeria zurückzugeben.
Siehe auch Video (9 Min.) von VOX zum Thema British Museum – Provenienz – Benin Bronzen Link sehr gute Einführung
Benin Dialogue Group
Die Benin Dialogue Group dient als Plattform für den Austausch zwischen Delegierten westlicher Museen (D, GB, NL, Ö, S) sowie Vertreter:innen der nigerianischen Regierung sowie der Museumsvereinigung.
Diskussion um die Rückgabe von Benin Bronzen aus Deutschland 2022-2023
In deutschen Museen gibt es rund 1130 Benin Bronzen. Es handelt es sich um mehr als 1130 Artefakte aus dem Lindenmuseum in Stuttgart, dem Berliner Humboldt-Forum, dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, dem Hamburger Museum für Kulturen und Künste der Welt und den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. 2022 wurde das Eigentumsrecht vom deutschen Staat wieder an Nigeria zu übertragen. «Ich danke der deutschen Regierung für den bahnbrechenden Beschluss.
Deutschland ist als erstes europäisches Land einem formellen Abkommen beigetreten, alle Besitztümer aus der Kolonial-Ära an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Sie haben die Standards dafür gesetzt, wie Versöhnung aussehen sollte. Ich hoffe sehr, dass andere europäische Länder, die immer noch solche Artefakte von uns besitzen, in ihre Fußstapfen treten werden», sagte Zubairo Dada, nigerianischer Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten. In der Diskussion stand, dass die Benin Bronzen in Benin City in einem eigens dafür zu bauenden Museum ausgestellt werden sollten. Deutschland ist das erste Land, das eine Delegation geschickt hat, und Benin Bronzen vor Ort zurückgegeben hat.
Es gibt aber auch Kritik an dieser Rückgabevereinbarung, und zwar von der New Yorker «Restitution Study Group». Dies ist eine Organisation von Nachfahren westafrikanischer versklavten Menschen, die die pauschale Restitution der Benin-Bronzen ablehnt, da dies nur die bereichere, deren Vorfahren im Königreich Benin einst vom Sklavenhandel profitiert hätten. Mehr dazu in einem Interview von rbb mit dem Historiker Jürgen Zimmerer. Interview vom 5.1.23 Link
Siehe zu dieser Thematik von Gesine Krüger «Der Mythos vom Verschweigen der Sklaverei» in Geschichte der Gegenwart (3.12.23) Link
Im März 2023 verkündete der nigerianische Staatspräsident, Muhammadu Buhari, dass er die Eigentumsrechte per Dekret an den amtierenden Oba von Benin übertragen habe und damit die Bronzen formal in den privaten Besitz der Herrscherfamilie übergehen würden.
Die Reaktionen in Deutschland waren unterschiedlich. An verschiedener Stelle wurde von einer «übereilten» Rückgabe und einem «Fiasko» gesprochen. Die AfD hatte gar eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt. Als Reaktion auf Kritik wurde von öffentlicher Seite her betont, dass die Rückgabe der als Raubkunst geltenden Artefakte nicht an Bedingungen geknüpft seien und es einzig die Angelegenheit Nigerias sei, was mit den Bronzen zu geschehen hätte. Von verschiedener Seite her wurde darauf hingewiesen, dass die Haltung Nigeria vorschreiben zu wollen, was sie mit ihrem eigenen Besitz zu tun und zu lassen hätte, eine stark paternalistische Haltung widerspiegle und es um eine politische Instrumentalisierung gehe.
Links und Literatur zur Diskussion:
Zur Kontroverse um die Benin Bronzen in Deutschland: Kulturzeit vom 12.5.23 Link
Gesine Krüger. Wem gehört Afrikas Kulturerbe? Die Rückgabe der Benin-Bronzen und die Zukunft des Museums. Geschichte der Gegenwart, 17.5.2023. Link
Ausstellungen und Sammlungen in Deutschen Museen
Berliner Benin Sammlung Ethnologisches Museum
«Am 25. August 2022 unterzeichneten Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), und Abba Isa Tijani, Generaldirektor der National Commission for Museums and Monuments (NCMM), den Vertrag über die Eigentumsübertragung der Benin-Objekte aus der Sammlung des Ethnologischen Museums an Nigeria. Es handelt sich um 512 Werke, die als Folge der sogenannten Britischen Strafexpedition von 1897 nach Berlin gelangten. Es handelt sich dabei um die bislang größte Eigentumsrückübertragung von Sammlungsobjekten aus kolonialem Kontext. Rund ein Drittel der übereigneten Objekte wird für zunächst zehn Jahre als Leihgabe in Berlin bleiben und im Humboldt Forum ausgestellt werden.»
Weitere Informationen auf der Webseite des Ethnologischen Museums, z.B. ein Positionspapier des Museums zu kolonialen Debatten und dem musealen Selbstverständnis.
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen in der Schweiz
Benininitiative Schweiz: Forschung und Dialog mit Nigeria
In einer Medienmitteilung vom Januar 2021 heisst es: «Acht Schweizer Museen haben sich in einem Verbund zusammengeschlossen, um gemeinsam die Provenienzen ihrer Sammlungen aus dem Königtum Benin in Nigeria zu untersuchen. Ziel der Initiative ist, Transparenz und Synergien für die Forschung und den Dialog mit Nigeria, dem Herkunftsland der Werke, zu schaffen.» Dabei sind u.a. das Museum Rietberg, das Bernische Historische Museum sowie das Museum der Kulturen Basel.
Auf der Webseite des Rietbergmuseums steht weiter: «Das vom Bundesamt für Kultur (BAK) geförderte Projekt hat die postkoloniale und kooperative Provenienzforschung zum Inhalt. Neben der Vernetzung der Museen in der Schweiz sind dabei die Zusammenarbeit und der Austausch mit Nigeria von grosser Bedeutung. So arbeiten die Museen auch mit einer nigerianischen Historikerin der Universität in Benin City zusammen. Zu den Methoden gehören Recherchen in Archiven in Europa und in Afrika, Interviews zur westlichen Sammel- und Handelspraxis sowie die Berücksichtigung von mündlich überlieferten Geschichten (oral history) der Handwerkergilden und der Palastgesellschaften in Benin City. Damit sollen die Objektbiografien und Handelsnetzwerke aus unterschiedlichen Perspektiven von Nigeria bis in die Schweiz rekonstruiert werden.»
1. Phase der Benin Initiative Schweiz
Bericht des BIS-Forschungsprojektes und gemeinsame Erklärung 2023 (Abschluss Phase I des Projekts)
Im Februar 2023 wurde der Forschungsbericht, der die Phase I abschloss, offiziell an Vertreter Nigerias übergeben.
Wichtige Erkenntnisse sind: «In den acht öffentlichen Museen der Schweiz wurden insgesamt 96 Objekte identifiziert, die dem Königtum Benin zugeordnet werden können. Dabei reicht die Anzahl von Benin-Objekten von drei (Schlossmuseum Burgdorf) bis zu 21 Werken (Museum der Kulturen Basel). Das Forschungsteam entwickelte vier Kategorien, um die Benin-Objekte einzuordnen»: 1. geplündert, 2. wahrscheinlich geplündert, 3. wahrscheinlich nicht geplündert, 4. nicht geplündert. In Schweizer Museen gibt es 96 Benin Bronzen, wovon mehr als die Hälfte den ersten zwei Kategorien zuzurechen sind. Link
Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die «Joint Declaration of the Swiss Benin Forum» veröffentlicht. Diese ist «von der nigerianischen Delegation zusammen mit den Mitgliedern der Benin Initiative Schweiz erarbeitet worden war. Die gemeinsame Erklärung thematisiert sowohl die Zukunft der Benin-Sammlungen in Schweizer Sammlungen als auch die ebenso wichtige Zukunft von Kooperationen mit Nigeria.» Link
«Die Museen der Benin Initiative Schweiz erklärten sich für offen gegenüber dem Eigentumsübertrag («transfer of ownership») bei den 53 Objekte, die 1897 geraubt («looted) bzw. sehr wahrscheinlich geraubt («likely looted») wurden. Dies kann die Rückgabe, die Zirkulation oder auch Leihgaben an Schweizer Museen beinhalten. Auf museumsinstitutioneller Ebene wird momentan ausgelotet, wie dieser Eigentumsübertrag in den verschiedenen Trägerschaften vonstattengehen kann. Zudem wurde die grosse Bedeutung von gemeinsamen Projekten auf musealer und wissenschaftlicher Ebene betont.»
2. Phase der Benin Initiative Schweiz
Seit dem 1. Juni 2023 läuft die zweite Phase der Benin Initiative Schweiz. Geplant sind u.a. neue Ausstellungsprojekte, bei denen neue Wege in der Museumskooperation beschritten würden.
Zur Phase II steht: «In der zweiten Phase der BIS erweitern und vertiefen die Museen die Erforschung der Benin-Bestände. Forschung und Vermittlung finden dabei in enger Zusammenarbeit mit den nigerianischen Projektpartnerinnen und -partnern von Universität, den nationalen Museen, Palast und Gilden statt. Dieser umfassende Blick auf die Objekte von beiden Seiten ist neu und beinhaltet einen gegenseitigen Austausch von Wissen und Forschung mit Nachkommen der Urhebergesellschaften der Objekte. Die gemeinsamen Forschungsergebnisse werden 2024 in Ausstellungen, Workshops und weiteren Veranstaltungen der Öffentlichkeit präsentiert. Daneben wird – auf politischer und rechtlicher Ebene in der Schweiz wie auch in Nigeria – auch die Frage des zukünftigen Umgangs mit den Benin-Beständen aus Schweizer Museen weiterverhandelt. Ein wichtiges Ziel des Folgeprojektes ist aufzuzeigen, wie sowohl die Schweiz als auch Nigeria von diesem kollaborativen Ansatz der Benin Initiative Schweiz profitieren kann.»
Zürcher Erklärung 2024: «Anlässlich der Jahreskonferenz 2024 der Direktor*innen der Ethnologischen und Weltkulturen-Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum wurde die folgende Stellungnahme verabschiedet.»
Im Jahr 2024 ist an allen acht Partnermuseen ein dichtes Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm geplant.
Publikation zu den Ausstellungen: In Bewegung: Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen. Hsg. E. Tisa Francini, A. Herzog, A. Malefakis, M. Oberhofer. 2024.
Interview mit dem Afrika-Kurator Alexis Malefakis im UZH-Magazin geführt von Rita Ziegler, 3.2.2023. Link
Ausstellung «Im Dialog mit Benin» im Rietbergmuseum
Ausstellung «Im Dialog mit Benin. Kunst, Kolonialismus und Restitution» Rietbergmuseum
«Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Sammlungen aus kolonialem Kontext. Erstmals wird die Kunstgeschichte Benins auch historisch und kulturvergleichend eingeordnet. Das Museum Rietberg arbeitet dabei mit Partner*innen aus Nigeria und der Diaspora in der Schweiz zusammen. Dieser kollaborative Ansatz umfasst sowohl die Erforschung der Objekte, mit ihren Provenienzen, als auch das Kuratieren der Ausstellung. Die Herausforderung ist, wie wir – in der Schweiz und in Nigeria – mit Fragen von kolonialem Unrecht und Restitution, Wissensarchiv und Identität sowie Erinnerung und Heilung umgehen.»
«Die Gürtelmaske wurde von den Bronzegilden im Auftrag des Obas im 17./18. Jahrhundert gegossen. Sie befand sich bis zum britischen Raubzug 1897 im Palast in Benin. Von einer Kriegstrophäe wurde sie in Europa zur Handelsware und schliesslich zum Museumsobjekt. … Noch 2011, zum Zeitpunkt des Erwerbs, wurde die von Webster angebrachte Nummer auf der Rückseite als Gütesiegel für das Alter und die Echtheit des Stückes angesehen. Heute gilt die «Provenienz Webster» als problematisch. Solche Benin-Objekte zirkulieren nicht mehr auf dem Kunstmarkt.» (Saaltext)
Aktuelle Kunstwerke zur Ausstellung
«In den Kunstwerken, die Cherry-Ann Morgan und Kwaku Dapaah Opoku für die Ausstellung „In Dialogue with Benin. Kunst, Kolonialismus und Restitution“ geschaffen haben, zeigen sie neue künstlerische Perspektiven auf historische Ereignisse wie Kolonialismus und Sklaverei. Die karibische Künstlerin und Designerin Cherry-Ann Morgan stellt das Geschichtenerzählen in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Forschung. In komplexen multidisziplinären Installationen verbindet sie ihre persönlichen Familiengeschichten mit den breiteren kulturellen Verbindungen zwischen Nigeria und der Karibik, wobei Wasser und die Farbe blau eine zentrale Rolle spielt. Kwaku Dapaah Opoku verwendet Feuer als künstlerisches Mittel, um an die Plünderung von Benin City durch die britische Armee im Jahr 1897 zu erinnern. In seinem Film geht es um seine persönliche Beziehung zum kulturellen Erbe in Museen sowie um die tieferen spirituellen Bedeutungen dieser Objekte.» Link
Artist Talk mit den Künstler:innen vom 14.9.24
Material für den Unterricht
Die Gürtelmaske aus dem Rietbergmuseum als Beispiel für Provenienzforschung, Raubkunst und Restitutionsdebatte
Im Film «Auf Spurensuche – Die Benin Initiative Schweiz» auf der Webseite des Rietbergmuseums wird das Projekt Benin Initiative erklärt.
- Am Beispiel der Gürtelmaske im Rietbergmuseum wird z.B. aufgezeigt, wie abgeklärt wird, ob ein Objekt aus der Beute der Strafexpedition der Engländere von 1897 stammen könnte. Dabei wird kurz die Geschichte der Strafexpedition sowie die Rolle von William Webster erklärt. (Ca. 2:30 – 5:40)
- Zusammenarbeit mit der Historikerin Dr. Enibokun Uzebu-Imarhiagbe von der Universität Benin in Edo State. Z.B. auch zur Gürtelmaske. (ab ca. 8:00 – 10:00)
- Besuch bei den Bronzegiessern von heute, um die Expertise dieser Experten bei der Datierung von Objekten beiziehen zu können. (ab c. 13:15 – 15:54)
Text der nigerianischen Exptert:innen zur Gürtelmaske
Foto der Gürtelmaske und Informationen unter Sammlung online Link
Saaltext zur Gürtelmaske Link
Die Rolle von Provenienzen auf dem Kunstmarkt. Das Beispiel der Gürtelmaske am Museum Rietberg. S. 78 – 81. In: In Bewegung. Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen. Hsg. E. Tisa Francini, A. Herzog, A. Malefakis, M. Oberhofer. Zürich 2024.
Gedenkkopf und dem dazugehörenden beschnitzten Elfenbeinzahn aus dem Rietbergmuseum
Aussage der nigerianischen Historikerin Dr. Enibokun Uzebu-Imarhiagbe bei ihrem Besuch im Rietbergmuseum zu einem Gedenkkopf und dem dazugehörenden beschnitzten Elfenbeinzahn:
«Dieses Werk aus Benin in Nigeria kann ich aus unterschiedlichen Perspektiven analysieren: einerseits als Frau, die in Benin City geboren ist, andererseits als Historikerin, die sich mit der Geschichte des Königtums Benin auseinandersetzt, oder auch als Nachfahrin der Person, die hier porträtiert ist. Das Stück war von 1926 bis 1952 im Besitz von Eduard von der Heydt, der es dem Museum Rietberg schenkte. Bis heute ist aber nicht bekannt, wie es aus Nigeria nach Europa gelangte. Möglicherweise wurde es im Jahre 1897 mit tausenden Kunstwerken von den Briten in Benin City geplündert. Bei diesem Werk handelt es sich um einen Gedenkkopf, der zu Ehren von Oba Osemwende für dessen Ahnenaltar errichtet wurde. Oba Osemwende herrschte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Meine Familie geht auf ihn zurück, der auch der Grossvater von Oba Ovonramwen war, der das Königreich Benin bis zur britischen Militäraktion von 1897 regierte. Der Anblick dieses Objekts im Museum Rietberg hat mich sehr bewegt, denn es erzählt unsere Geschichte den Menschen, denen wir vielleicht nie begegnen werden. Solche Gedenkköpfe aus Messing wurden von einem neuen Oba in Auftrag gegeben, um seinen Vater, den verstorbenen König, zu ehren. Dabei geht es um Erinnerung und Gedenken. Dieses Porträt muss nach der Regentschaft von Oba Osemwende im Jahr 1848 hergestellt worden sein. In das Loch oben wurde ein Elfenbeinstosszahn mit kunstvoll geschnitzten Bildern und Symbolen gestellt, die wichtige Ereignisse in der Regierungszeit eines Oba zeigen.»
Acht Expert:innen aus Benin City äussern sich zum Thema Restitution
Diese acht Zitate sind in der Publikation «In Bewegung. Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen», S. 44-47, zu finden.
Interview mit Patrick Oronsaye
Patrick Oronsaye ist Kunsthistoriker und Nachfahre der königlichen Linie des Königreichs Benin. 2023 sprach er mit Alice Herzog über die andauernden Folgen der kolonialen Gewalt von 1897. Das Interview ist in der Publikation «In Bewegung. Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen», S. 41-43, abgedruckt.