Restitution
Restitution
«In der Restitutionsdebatte, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wie mit den Ethnographica, Kunstwerken und Naturalia umgegangen werden soll, die während der Kolonialzeit nach Europa gebracht wurden, geht es auch um eine Neubewertung europäischer Geschichte» schreibt Rebekka Habermas.
Diese Diskussion wird in Europa nicht zum ersten Mal geführt. Bereits in den 1960er Jahren wurde im Zusammenhang mit Forderungen nach Rückgabe von Artefakten von verschiedenen Ursprungsgesellschaften die Frage der Restitution wenig erfolgreich diskutiert. Erst im neuen Jahrtausend und intensiv in den vergangenen Jahren findet eine Diskussion über den Umgang mit den kolonialen Objekten statt.
Der Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter verfasst vom senegalesischen Schriftsteller und Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr sowie der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy stellt einen Meilenstein im Zusammenhang mit der Restitutionsdebatte dar. Thema ist der Kontext und die Modalitäten der Restitution von afrikanischem Kulturerbe aus den öffentlichen Museen und Sammlungen in Frankreich. Im Zusammenhang mit diesem Bericht deklarierte der französische Präsident Macron, dass Frankreich geraubte Kunst zurückgeben wolle.
In ihrem Bericht schreiben Bénédicte Savoy und Felwin Sarr, dass 90 Prozent der afrikanischen Kulturgüter sich in europäischen Sammlungen, die direkt auf die Kolonialzeit zurückgehen, befinden. Dies gilt auch für Schweizer Museen.
Links und Literatur
Über das Zurückgeben. Ein Interview von Gabriele Metzler mit Bénédicte Savoy. 2021 Zeitgeschichte. Link
Bénédicte Savoy – Kolonialkunst muss zurück nach Afrika. Sternstunde Philosophie Oktober 2020 SRF.
Rebekka Habermas. Restitutionsdebatten, koloniale Aphasie und die Frage, was Europa ausmacht. bpb 2019.
Koloniale Raubkunst: «Bei der Rückgabe gibt es kein Limit». David Eugster, 2.2.23 swissinfo, Link
Benin Bronzen – Begriff und historischer Hintergrund
Begriff Benin Bronzen
Was ist mit dem Begriff Benin Bronzen eigentlich gemeint? Eine Erklärung auf Deutschlandfunk Kultur lautet wie folgt:
„Benin-Bronzen“ ist ein Sammelbegriff für Kunstwerke, die sich bis 1897 als Schmuck am Palast des Königreichs Benin in der Stadt Benin befunden haben. Heute sind sie auf der ganzen Welt verteilt, vor allem in Europa und in den USA. Viele sollen nun aber zurückgegeben werden. Die Reliefs, Plastiken und Tafeln geben verschiedenste Motive wieder: Menschen und Tiere, Ahnendarstellungen, Gebrauchs- und Ritualgegenstände, manchmal zwei-, manchmal dreidimensional. Sie hingen an den Wänden des Palastes, innen wie außen, schmückten aber auch Ahnenschreine. Insgesamt sollten diese Arbeiten, die zum Teil schon im 16. Jahrhundert entstanden, den Oba, das politische und geistige Oberhaupt des Königreichs, aber auch die Königsmütter ehren. Damit sind die Benin-Bronzen auch Zeugnisse der jahrhundertealten Entwicklung der Kultur dieser Region und ihrer Menschen. Der Begriff „Bronzen“ ist allerdings etwas irreführend. Manche der mehreren Tausend bekannten Objekte wurden auch aus oder mit Holz, Textilien, Leder und anderen Metallen gefertigt.»
Benin – historischer Hintergrund
Mündlichen Überlieferungen zufolge wurde das Edo-Königreich etwa im 10. Jahrhundert gegründet und von einer Königsdynastie namens Ogiso regiert, die zunächst einen Hof in der Region von Benin City errichtete. Die Ogisos begründeten auch die Anfänge der Handwerksgilden im Palast, die zur Entwicklung der einzigartigen künstlerischen Traditionen des Königreichs in Elfenbein, Holz und Metall führten. Um 1200 n. Chr. sollen die Ogisos von der heutigen Dynastie abgelöst worden sein, als Prinz Oranmiyan aus dem benachbarten Königreich Ife eingeladen wurde, den Thron in Benin zu besteigen. Oranmiyan kehrte bald nach Ife zurück, hinterließ aber einen Sohn, der den neuen Titel Oba annahm, als er als höchste politische und religiöse Autorität im Edo-Königreich inthronisiert wurde.
Das 15. und 16. Jahrhundert sind die Zeit der größten territorialen Ausdehnung Benins durch militärische Eroberungen. Es ist auch die Zeit, in der Benin mit portugiesischen Handelsabenteurern an der Küste in Kontakt kam und begann, mit ihnen Handel zu treiben. Die portugiesischen Kaufleute führten neue Waren ein, darunter indische und europäische Stoffe, Korallenperlen und Geldarmbänder aus Messing, die in königliche und höfische Insignien eingearbeitet wurden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Edo-Königreich durch Nachfolgekonflikte geschwächt und verlor einen Teil seiner militärischen, politischen und wirtschaftlichen Macht. Gleichzeitig verstärkte sich der Druck auf den Oba, das Edo-Königreich für den «Freihandel» mit britischen Handelsunternehmen zu öffnen, da das britische Kaiserreich die Kontrolle über westafrikanische Märkte und Gebiete anstrebte. 1897 eroberten britische Truppen das Königreich Benin, verwüsteten die Hauptstadt und plünderten den Königspalast. Im Zusammenhang mit diesen Plünderungen wurden tausende von Bronzen ausser Landes geschafft und verkauft. Dementsprechend finden sich Teile dieser Beute über die ganze Welt verteilt in Sammlungen und Museen.
Text: siehe Webseite National Museum Scotland
Geschichtsbuch eines Königreichs. Die Benin-Bronzen. Deutschlandfunk Nova, Mai 2023 Link
Digital Benin
Digital Benin – Plattform auf der Webseite des MARKK
Beschreibung auf der Webseite des MARKK: «Auf der digitalen Plattform werden die im späten 19. Jahrhundert geraubten und weltweit zerstreuten Kunstschätze aus dem Königreich Benin dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Initiiert wurde das Projekt im Oktober 2020 durch das Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Ein vierzehnköpfiges internationales Projektteam, unterstützt durch fünf wissenschaftliche Berater:innen in Nigeria, Kenia und den USA, machte sich an die Arbeit, weltweit Sammlungen zu kontaktieren, die relevanten Objektdaten zusammenzutragen und für die Plattform zu bearbeiten. Das Ergebnis: 131 Museen und Institutionen aus 20 Ländern, darunter Australien, Neuseeland, die Vereinigten Staaten, Kanada und Israel sowie 14 europäische Staaten, wirkten daran mit, über 5.246 Objekte zu dokumentieren. Als beispielloses Wissensforum stellt Digital Benin neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die die digitale Dokumentation der verlagerten Objekte mit mündlichen Überlieferungen, Objektforschung, historischen Zusammenhängen, einem grundlegenden Edo-Sprachkatalog, Provenienzangaben, einer Karte des Königreichs Benin und Museumssammlungen weltweit zusammenführt. Die fundierte, interaktive Plattform liefert somit den seit Langem geforderten Überblick zu den im 19. Jahrhundert geplünderten Hofkunstwerken, macht die Bestände erstmals sichtbar und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Katalog konzentriert sich auf Objekte, die im Februar 1897 von britischen Truppen aus dem Königreich Benin (heute Edo State, Nigeria) geplündert und unmittelbar danach über die ganze Welt verteilt wurden. Die historischen Benin-Objekte sind Ausdruck der Kunst, Kultur und Geschichte Benins und wurden ursprünglich als königliche Repräsentationskunst, zur Darstellung historischer Ereignisse, zur Kommunikation, in der Glaubenspraxis und zur Durchführung von Ritualen verwendet.»
Welche Museen haben die grössten Bestände?
Diskussion Restitution – Benin Bronzen international
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen International
Erste Rückforderungen wurden von Nigeria aus bereits in den 1930er Jahren gestellt. Weitere Anfragen in den 1950er und 1960er Jahren blieben erfolglos und wurden unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Erst in den letzten Jahren scheint hat ein Umdenken eingesetzt. Zahlreiche Briefe, die von Abba Tijani, Generaldirektor der Nationalen Museums- und Denkmalbehörde von Nigeria, geschrieben worden sind, werden zunehmend positiv beantwortet. Widerstand würde abnehmen und auch private Eigentümer:innen würden zunehmend bereit sein, die Artefakte zurückzugeben. Eine Ausnahme stellt Anfang 2023 immer noch das British Museum dar. Andererseits sind einige us-amerikanische sowie britische Institutionen bereit, Benin Bronzen an Nigeria zurückzugeben.
Siehe auch Video (9 Min.) von VOX zum Thema British Museum – Provenienz – Benin Bronzen Link sehr gute Einführung
Benin Dialogue Group
Die Benin Dialogue Group dient als Plattform für den Austausch zwischen Delegierten westlicher Museen (D, GB, NL, Ö, S) sowie Vertreter:innen der nigerianischen Regierung sowie der Museumsvereinigung.
Diskussion um die Rückgabe von Benin Bronzen aus Deutschland 2022-2023
In deutschen Museen gibt es rund 1130 Benin Bronzen. Es handelt es sich um mehr als 1130 Artefakte aus dem Lindenmuseum in Stuttgart, dem Berliner Humboldt-Forum, dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, dem Hamburger Museum für Kulturen und Künste der Welt und den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. 2022 wurde das Eigentumsrecht vom deutschen Staat wieder an Nigeria zu übertragen. «Ich danke der deutschen Regierung für den bahnbrechenden Beschluss. Deutschland ist als erstes europäisches Land einem formellen Abkommen beigetreten, alle Besitztümer aus der Kolonial-Ära an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Sie haben die Standards dafür gesetzt, wie Versöhnung aussehen sollte. Ich hoffe sehr, dass andere europäische Länder, die immer noch solche Artefakte von uns besitzen, in ihre Fußstapfen treten werden», sagte Zubairo Dada, nigerianischer Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten. In der Diskussion stand, dass die Benin Bronzen in Benin City in einem eigens dafür zu bauenden Museum ausgestellt werden sollten.
Deutschland ist das erste Land, das eine Delegation geschickt hat, und Benin Bronzen vor Ort zurückgegeben hat.
Es gibt aber auch Kritik an dieser Rückgabevereinbarung, und zwar von der New Yorker «Restitution Study Group». Dies ist eine Organisation von Nachfahren westafrikanischer versklavten Menschen, die die pauschale Restitution der Benin-Bronzen ablehnt, da dies nur die bereichere, deren Vorfahren im Königreich Benin einst vom Sklavenhandel profitiert hätten. Mehr dazu in einem Interview von rbb mit dem Historiker Jürgen Zimmerer. Interview vom 5.1.23 Link
Siehe zu dieser Thematik von Gesine Krüger «Der Mythos vom Verschweigen der Sklaverei» in Geschichte der Gegenwart (3.12.23) Link
Im März 2023 verkündete der nigerianische Staatspräsident, Muhammadu Buhari, dass er die Eigentumsrechte per Dekret an den amtierenden Oba von Benin übertragen habe und damit die Bronzen formal in den privaten Besitz der Herrscherfamilie übergehen würden.
Die Reaktionen in Deutschland waren unterschiedlich. An verschiedener Stelle wurde von einer «übereilten» Rückgabe und einem «Fiasko» gesprochen. Die AfD hatte gar eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt. Als Reaktion auf Kritik wurde von öffentlicher Seite her betont, dass die Rückgabe der als Raubkunst geltenden Artefakte nicht an Bedingungen geknüpft seien und es einzig die Angelegenheit Nigerias sei, was mit den Bronzen zu geschehen hätte. Von verschiedener Seite her wurde darauf hingewiesen, dass die Haltung Nigeria vorschreiben zu wollen, was sie mit ihrem eigenen Besitz zu tun und zu lassen hätte, eine stark paternalistische Haltung widerspiegle und es um eine politische Instrumentalisierung gehe.
Links und Literatur zur Diskussion:
Zur Kontroverse um die Benin Bronzen in Deutschland: Kulturzeit vom 12.5.23 Link
Gesine Krüger. Wem gehört Afrikas Kulturerbe? Die Rückgabe der Benin-Bronzen und die Zukunft des Museums. Geschichte der Gegenwart, 17.5.2023. Link
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen in der Schweiz
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen in der Schweiz
Benininitiative Schweiz: Forschung und Dialog mit Nigeria
In einer Medienmitteilung vom Januar 2021 heisst es: «Acht Schweizer Museen haben sich in einem Verbund zusammengeschlossen, um gemeinsam die Provenienzen ihrer Sammlungen aus dem Königtum Benin in Nigeria zu untersuchen. Ziel der Initiative ist, Transparenz und Synergien für die Forschung und den Dialog mit Nigeria, dem Herkunftsland der Werke, zu schaffen.» Dabei sind u.a. das Museum Rietberg, das Bernische Historische Museum sowie das Museum der Kulturen Basel.
Auf der Webseite des Rietbergmuseums steht weiter: «Das vom Bundesamt für Kultur (BAK) geförderte Projekt hat die postkoloniale und kooperative Provenienzforschung zum Inhalt. Neben der Vernetzung der Museen in der Schweiz sind dabei die Zusammenarbeit und der Austausch mit Nigeria von grosser Bedeutung. So arbeiten die Museen auch mit einer nigerianischen Historikerin der Universität in Benin City zusammen. Zu den Methoden gehören Recherchen in Archiven in Europa und in Afrika, Interviews zur westlichen Sammel- und Handelspraxis sowie die Berücksichtigung von mündlich überlieferten Geschichten (oral history) der Handwerkergilden und der Palastgesellschaften in Benin City. Damit sollen die Objektbiografien und Handelsnetzwerke aus unterschiedlichen Perspektiven von Nigeria bis in die Schweiz rekonstruiert werden.»
Seit dem 1. Juni 2023 läuft die zweite Phase der Benin Initiative Schweiz. Geplant sind u.a. neue Ausstellungsprojekte, bei denen neue Wege in der Museumskooperation beschritten würden. . Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die «Joint Declaration of the Swiss Benin Forum» veröffentlicht. Diese ist «von der nigerianischen Delegation zusammen mit den Mitgliedern der Benin Initiative Schweiz erarbeitet worden war. Die gemeinsame Erklärung thematisiert sowohl die Zukunft der Benin-Sammlungen in Schweizer Sammlungen als auch die ebenso wichtige Zukunft von Kooperationen mit Nigeria.» Link
Bericht des BIS-Forschungsprojektes und gemeinsame Erklärung 2023 (Abschluss Phase I des Projekts)
Im Februar 2023 wurde der Forschungsbericht, der die Phase I abschloss, offiziell an Vertreter Nigerias übergeben.
Wichtige Erkenntnisse sind: «In den acht öffentlichen Museen der Schweiz wurden insgesamt 96 Objekte identifiziert, die dem Königtum Benin zugeordnet werden können. Dabei reicht die Anzahl von Benin-Objekten von drei (Schlossmuseum Burgdorf) bis zu 21 Werken (Museum der Kulturen Basel). Das Forschungsteam entwickelte vier Kategorien, um die Benin-Objekte einzuordnen»: 1. geplündert, 2. wahrscheinlich geplündert, 3. wahrscheinlich nicht geplündert, 4. nicht geplündert. In Schweizer Museen gibt es 96 Benin Bronzen, wovon mehr als die Hälfte den ersten zwei Kategorien zuzurechen sind. Link
Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die «Joint Declaration of the Swiss Benin Forum» veröffentlicht. Diese ist «von der nigerianischen Delegation zusammen mit den Mitgliedern der Benin Initiative Schweiz erarbeitet worden war. Die gemeinsame Erklärung thematisiert sowohl die Zukunft der Benin-Sammlungen in Schweizer Sammlungen als auch die ebenso wichtige Zukunft von Kooperationen mit Nigeria.» Link
«Die Museen der Benin Initiative Schweiz erklärten sich für offen gegenüber dem Eigentumsübertrag («transfer of ownership») bei den 53 Objekte, die 1897 geraubt («looted) bzw. sehr wahrscheinlich geraubt («likely looted») wurden. Dies kann die Rückgabe, die Zirkulation oder auch Leihgaben an Schweizer Museen beinhalten. Auf museumsinstitutioneller Ebene wird momentan ausgelotet, wie dieser Eigentumsübertrag in den verschiedenen Trägerschaften vonstattengehen kann. Zudem wurde die grosse Bedeutung von gemeinsamen Projekten auf musealer und wissenschaftlicher Ebene betont.»