Rassismuskritischer Umgang mit Lehrmitteln
Rassismus und Lehrmittel
Unmasking racism: guidelines for educational materials. UNESCO 2024
Die UNESCO bietet mit diesem Material einen umfassenden Überblick über Rassismus in Schulbüchern und anderen Bildungsmedien. Hierfür hat die UNESCO eine spezielle Studie durchgeführt und Empfehlungen entwickelt, wie Themen wie Migration und Rassismus besser behandelt werden können. Link
Leitfragen zur Qualität vo Bildungsmedien in der Migrationsgesellschaft
Die Leitfragen in der Broschüre bieten Akteur:innen in Kultur und Bildung ein Werkzeug an, ihr Material kritisch auf dessen Inhalte und Botschaften zu befragen.
«Migrationsgesellschaftlich orientierte Bildungsarbeit erfordert dabei dringend eine kritische Auseinandersetzung mit Bildungsmedien. Das beinhaltet, sich kritisch und konstruktiv mit den verschiedenen Geschichten und Perspektiven zu befassen – auch und zuvorderst Migration prägt die Gesellschaft als Ganzes mit den eigenen. Hierfür ist die Reflexion gesellschaftlicher Normen, Prozesse und Narrative unerlässlich: Wie kann die Reproduktion von Vorurteilen vermieden
werden? Welche Bezeichnungen können Angesprochene verletzen, weweil sie rassistisch oder antisemitisch sind?
Wie kann vermieden werden, aus einer weißen deutschen Perspektive auf Marginalisierte zu schaue und diese zum Gegenstand der Betrachtung zu machen? Kurz: Wie kann migrationsgesellschaftliche Diversität in Bildungsprozessen ebenso wie deren Vermittlung und Reflexion gelingen?»
Prof. Dr. Viola B. Georgi, Agata Wiezorek, Emma Rehr, Davide Torrente, Universität Hildesheim 2024. Link
Studie zu Rassismus und Repräsentation, gesellschaftliche Diversität in Lehrmitteln
In einer Zusammenfassung der EKR heisst es: «Ziel war es, einen Überblick zur Auseinandersetzung mit Rassismus, zu rassistischen Narrativen und zur Repräsentation gesellschaftlicher Diversität in aktuellen Schweizer Lehrmitteln zu gewinnen. Für die Analyse haben sich vier Fokusfelder ergeben: Rassismus als Thema, Migration als Thema, Darstellungen und Vorstellungen von Raum («hier» und «anderswo») sowie Repräsentationen von Gesellschaft»
Rassismus und Repräsentation, gesellschaftlicher Diversität in Lehrmitteln. Eine Studie im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR, 2023. Simon Affolter und Vera Sperisen unter Mitarbeit von Melissa Girardet, Elena Rudin, Oliver Dlabač, Benjamin Schlegel. Link
Einblick: Rassismus in Lehrmitteln
In ihrer Einleitung schreiben Mandy Abou Shoak und Rahel El-Maawi, dass «nach wie vor Lehr- und Lernmittel mit diskriminierenden Inhalten in Gebrauch seien.» Ein Schulbuchvergleich zeigt auf, dass «vor allem Schwarze Menschen und People of Color abwertend dargestellt (werden). So wurde uns einmal mehr bewusst, dass Lehr- und Lernmittel mit diskriminierenden Inhalten leider nicht der Vergangenheit angehören, sondern sogar neu verfasst werden. Heute sind weniger rassistischen Fremdbezeichnungen anzutreffen, doch die stereotypen Zuschreibungen in Bild und Text bleiben ebenso bestehen wie die unkritische Haltung gegenüber rassistischen Gewalttaten aktueller und vergangener Jahrzehnte. Damit bringen Schulbücher Kindern strukturellen Rassismus bei.»
Einblick: Rassismus in Lehrmitteln. Eine Schulbuchanalyse von Mandy Abou Shoak und Rahel El-Maawi, Nov. 2020. Link
Interview von «Vo da» mit Mandy Abou Shoak und Rahel El-Maawi zum Thema Rassismus in Lehrmitteln. (2020) Link
Dekonstruktion von Rassismus in Schulbüchern von Jule Bönkost
Jule Bönkost analysiert in diesem Werk ausführlich den bisherigen Umgang mit Rassismus in deutschen Schülbüchern. Demnach wurde bisher zu sehr der Fokus auf eine Sicht gelegt, die Rassismus als ein Problem „der Anderen“ sieht, ohne die Verwobenheit des rassistischen Systems bis hin in die Mitte der Gesellschaft anzusprechen. Dies ist sowohl in Schulbüchern als auch unter pädagogischem Personal so zu beobachten. Deutschland 2020. Link
SNF-Projekt: Zugehörigkeit Reconsidered: Teilhabe neu denken / Rassismuserfahrungen und antirassistische Bildung.
Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Kriterien zur Reflexion und Vermeidung von Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze in didaktischem Material und der Unterrichtsplanung. Hajdi Barz. Hsg. RomaniPhen (eingesehen 7.4.2023) Link
Projektleitung: Vera Sperisen und Simon Affolter, 2021-2022 an der FH Nordwestschweiz. Auf der Projektseite steht: «Praxisnahe, didaktische Konzepte zur kritischen Bearbeitung von natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen in der Schule stellen bis heute ein Desiderat dar. Dies hat sich in unserem aktuellen SNF-Forschungsprojekt «Doing/Undoing Difference in Politischer Bildung» in deutlicher Form herausgestellt.» Link
Affolter, Simon/ Sperisen, Vera et al. (2021): „Migration – Rassismus – Schule. Eine dialogische Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Praxis“. In Bildung.Macht.Diversität., herausgegeben von Serena O. Dankwa, Sarah-Mee Filep, Ulla Klingovsky, und Georges Pfruender, Bielefeld: transcript Verlag, S. 243–66. Link
Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung mit «Afrika»-Bildern und Schwarz-Weiss-Konstruktionen in der Schule. Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis. Hrsg. Elina Marmer, Papa Sow. Weinheim 2015. (In diesem Sammelband hat es zahlreiche sehr interessante Artikel zum Thema. IHVZ, Einleitung)
Rassismus und Sprache im Unterricht
«Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.» Victor Klemperer, 1947
Rassismus und Sprache
In einem Interview mit der DW sagt Susan Arndt: «Während ich den Rassismus analysiert habe, wurde mir zunehmend bewusst, dass Worte wie Wegweiser dieses Rassismus fungierten. Sehr viel rassistisches Wissen und Überzeugungen manifestieren sich in ganz konkreter Weise durch Wörter» … «Wenn wir auf diese Wörter verzichten, geht natürlich der Rassismus nicht weg, aber wir können den Rassismus durch ihre Analyse besser verstehen.»
Sie schlägt fünf Fragen vor, die bei der Identifizierung kolonial geprägter Begrifflichkeit helfen:
- «Wann und wo hat der Ausdruck seinen Ursprung? Stammt er aus der Kolonialzeit und wie zeigt sich das? Wurde seine ursprüngliche Bedeutung geändert und was davon ist heute übrig geblieben?
- Impliziert der Ausdruck, dass es «Menschenrassen» gibt? Suggeriert der Ausdruck, dass die angesprochene Person «naturnah» und «entfernt von der Vernunft» ist?
- Greift der Ausdruck auf koloniale Vorstellungen oder Klischees zurück, zum Beispiel auf eine «halbnackte Person, die Federn trägt»?
- In welchem Kontext wird der Ausdruck verwendet?
- Schließt der Ausdruck Menschen von einer «weißen” Norm aus?
«Warum sollte man das N-Wort nicht benutzen?» Daniel Gyamerah im Interview
«Für uns ist es völlig klar, dass Weiße Menschen das ‹N›-Wort nicht aussprechen sollten. Viele sagen: ‹Warum sollte ich das Wort nicht aussprechen?› Weil hinter diesem Wort 400 Jahre Versklavung stehen. Weil Weiße Menschen dieses Wort benutzt haben, um Schwarze Menschen global zu dehumanisieren. Weil dieses Wort ein Zeichen für Weiße Vorherrschaft ist. Warum sollten Weiße Menschen immer noch – 2020, 2021, 2022 – das Bedürfnis haben, dieses Wort auszusprechen? Das heißt, wenn ich gefragt werde: ‹Warum sollen wir das Wort denn nicht aussprechen?›, würde ich die Frage zurückgeben. Warum ist es dir so wichtig, das ‹N›-Wort auszusprechen?» (2021, Interview im Rahmen des Bundesprogramms «Demokratie leben»)
Aus der Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie (27.9.2018)
«Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe
Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.» Link
Literatur zu Rassismus und Sprache
Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung mit «Afrika»-Bildern und Schwarz-Weiss-Konstruktionen in der Schule. Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis. Hrsg. Elina Marmer, Papa Sow. Weinheim 2015.
Glossar gegen Rassismus von Bla*sh Link
Glossar vom Ideenset postkoloniale Schweiz der PH Bern Link
Glossar von notoracism Link
Rassismus und Bilder im Unterricht
«Die Kolonialfotografie ersetzte jedoch keineswegs die reiche Imagination der Europäer*innen. Sie war Teil dessen. Sie reproduzierte und verstärkte sie vielmehr durch überspitzte rassistische Bilder, die deren bizarre Vorstellungen über andere und sich selbst formten.» Sinthujan Varatharajah
Rassismus und Bildquellen
Die Arbeit mit Bildquellen ein wichtiger Aspekt im Geschichtsunterricht. Gemälde, Fotografien oder auch Karikaturen erlauben einen anschaulichen Blick in die jeweilige Epoche. Dementsprechend wird die Sicht der Maler:innen, Fotograf:innen und Karikaturist:innen und ihrer Zeit widerspiegelt. Dementsprechend gibt es protorassistische und rassistische Darstellungen von aussereuropäischen Menschen sowie Mitgliedern von Minderheiten in Europa, z.B. Juden, Sinti und Roma, Schwarze, asisatische und muslimische Menschen. Wichtig für uns ist es im Unterricht durch den Einsatz entsprechender Darstellungen nicht rassistische Stereotpyen zu reproduzieren und somit weiterhin auch in der Gegenwart zu verankern. An dieser Stelle möchte ich auf den antirassistischen Leitfaden verweisen, in dem auch eine Anleitung zum Umgang mit Bildern enthalten ist.

Umgang mit Bildern, rassismuskritischer Leitfaden, S. 43
Gemälde: «Schlafende Milli» – «Millis Erwachen
In zahlreichen europäischen Gemälden bis im 20. Jahrhundert werden Schwarze Personen in der Mehrzahl der Fälle in stereotyper, rassistischer und sexistischer Weise und Position, z.B. als Bediensteter, dargestellt.
Ein Beispiel ist Ludwig Kirchners Bild «Schlafende Milli». Natasha A. Kelly schreibt: «Wir Schwarze Frauen werden seit jeher durch den weissen, männlichen Blick erotisiert und exotisiert. In den als «Klassiker» geltenden Werken vieler Expressionisten werden wir lediglich als «Objekt der Begierde» abgebildet. Kirchner beispielsweise suchte zur Blütezeit des deutschen Kolonialismus weniger die Anatomie des Frauenkörpers zu erforschen. Vielmehr ging es ihm darum, über die vermeintliche «Naturgebundenheit» seiner Motive seine eigene Manneskraft zu spüren. 1911 malte er die «Schlafende Milli» nackt auf einer Couch liegend. Als Inspirationsquelle liess er nur die eigene Potenz gelten. Doch wer war Milli? War das überhaupt ihr richtiger Name? Und wie war sie in Kirchners Atelier gekommen? Plötzlich war die koloniale Vergangenheit wieder ganz nah.» (Aus: Millis Erwachen. Natasha A. Kelly, 2018, S. 14)
Siehe auch der Dokfilm «Millis Erwachen» von Natasha A. Kelly in Kooperation mit Anh Trieu, Henning Fehr und Philipp Rühr, Deutschland, 2018
Kolonialfotografie
Yvonne Vera: Kamera als Mittel zur Unterdrückung
“The camera has often been a dire instrument. In Africa, as in most parts of the dispossessed, the camera arrives as part of the colonial paraphernalia, together with the gun and the bible. …” (Yvonne Vera, simbabwische Schriftstellerin)
Teju Cole: Verwandtschaft von Fotografie und Gewalt
«When we speak of “shooting” with a camera, we are acknowledging the kinship of photography and violence. The anthropological photographs made in the 19th century under the aegis of colonial powers are related to the images created by contemporary photojournalists, including those who embed with military forces.» aus: When the Camera Was a Weapon of Imperialism. (And When It Still Is.) von Teju Cole, NYT 2019.
Sinthujan Varatharajah: Hierarchisieren und Abwerten
Im 19. Jahrhundert widerspiegelt sich in den Fotografien fast ausschliesslich die Sicht auf die Welt, das Weltgefühl und das Welterlebnis von Europäer:innen wider. «Vasquez versteht den Einsatz der Kamera als gezielten Versuch des europäischen Menschen, das eigene Menschsein durch die Unterwerfung anderer Lebensformen zu behaupten. die technischen Innovationen werden hierbei strategisch genutzt, um sich vom anderen Leben – dem vermeintlich nicht-menschlichen Leben – zu distanzieren. Sie hilft, die zentrale Unterscheidung der kolonialen Moderne zu unterstreichen, die zwischen Mensch, Untermensch und Nichtmensch differenziert. Dies geschieht unter anderem durch das Festhalten der Umwelt, das dem Klick auf den Auslöser folgt. Die Europäer:innen stellten nicht nur das zur Schau, was folglich im Bild gefangen war, sondern ebenso sich selbst. Ihre Befähigung die europäischen Erlebnisse der Umwelt zu inszenieren, einzufangen, zu sammeln und in die Welt verbreiten zu können, unterschied sie in ihren Augen von anderen Lebensformen auf dieser Erde. Es soll sie aus der Natur und aus dem Zeitgefüge lösen und, mehr noch, darüberstellen. Mit der Kamera war es den europäischen Menschen möglich, andere nicht-europäische Menschen, die nicht als solche anerkannt wurden, sowie andere Lebewesen festzuhalten, sie in einer permanenten und imaginären Vergangenheit gefangen zu halten und dabei selbst voranzuschreiten, immer weiter weg von dem Punkt, an dem sie noch gestern standen. Die Kamera entwickelt sich auf dieses Weise zu einem Kontrollmedium der Europäer:innen.» aus: an alle orte, die hinter uns liegen von sinthujan varatharajah, München 2022, S. 35-36.
Sandeep TK: Fotoserie «Let me add something in my own melody»
Sandeep TK ist ein Künstler aus Thalassery in Kerala, Indien. Seine Medien sind Fotografie, Video und Text. In der Ausstellung «kolonial» im Landesmuseum (2024) werden Fotografien von ihm gezeigt und im Begleittext steht, dass der Künstler in der Auseinandersetzung mit Fotografien aus dem Archiv der Basler Mission merkte, «dass oftmals Personen passiv, ohne Selbstbestimmung und in Abhängigkeit von der fotografierenden Person abgelichtet werden. Er verbindet die passive Stellung von Personen in Fotografien mit Geschichten seiner Vorfahren im Umfeld kolonialer Strukturen. Er beschliesst deshalb, diese Geschichten anders zu erzählen und sich dabei selbst abzulichten. Mit Selbstportraits schafft er eigene, neue Bilder der Vergangenheit, die eine selbstermächtigte Person zeigen – seiner selbst.»