Restitution – Benin Bronzen
Begriff Restitution + Benin Bronzen, Geschichte, Diskussion Rückgabe in Deutschland und der Schweiz
Restitution
«In der Restitutionsdebatte, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wie mit den Ethnographica, Kunstwerken und Naturalia umgegangen werden soll, die während der Kolonialzeit nach Europa gebracht wurden, geht es auch um eine Neubewertung europäischer Geschichte» schreibt Rebekka Habermas.
Diese Diskussion wird in Europa nicht zum ersten Mal geführt. Bereits in den 1960er Jahren wurde im Zusammenhang mit Forderungen nach Rückgabe von Artefakten von verschiedenen Ursprungsgesellschaften die Frage der Restitution wenig erfolgreich diskutiert. Erst im neuen Jahrtausend und intensiv in den vergangenen Jahren findet eine Diskussion über den Umgang mit den kolonialen Objekten statt.
Der Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter verfasst vom senegalesischen Schriftsteller und Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr sowie der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy stellt einen Meilenstein im Zusammenhang mit der Restitutionsdebatte dar. Thema ist der Kontext und die Modalitäten der Restitution von afrikanischem Kulturerbe aus den öffentlichen Museen und Sammlungen in Frankreich. Im Zusammenhang mit diesem Bericht deklarierte der französische Präsident Macron, dass Frankreich geraubte Kunst zurückgeben wolle.
In ihrem Bericht schreiben Bénédicte Savoy und Felwin Sarr, dass 90 Prozent der afrikanischen Kulturgüter sich in europäischen Sammlungen, die direkt auf die Kolonialzeit zurückgehen, befinden. Dies gilt auch für Schweizer Museen.
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen International
Erste Rückforderungen wurden von Nigeria aus bereits in den 1930er Jahren gestellt. Weitere Anfragen in den 1950er und 1960er Jahren blieben erfolglos und wurden unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Erst in den letzten Jahren scheint hat ein Umdenken eingesetzt. Zahlreiche Briefe, die von Abba Tijani, Generaldirektor der Nationalen Museums- und Denkmalbehörde von Nigeria, geschrieben worden sind, werden zunehmend positiv beantwortet. Widerstand würde abnehmen und auch private Eigentümer:innen würden zunehmend bereit sein, die Artefakte zurückzugeben. Eine Ausnahme stellt Anfang 2023 immer noch das British Museum dar. Andererseits sind einige us-amerikanische sowie britische Institutionen bereit, Benin Bronzen an Nigeria zurückzugeben.
Siehe auch Video (9 Min.) von VOX zum Thema British Museum – Provenienz – Benin Bronzen Link sehr gute Einführung
Benin Dialogue Group
Die Benin Dialogue Group dient als Plattform für den Austausch zwischen Delegierten westlicher Museen (D, GB, NL, Ö, S) sowie Vertreter:innen der nigerianischen Regierung sowie der Museumsvereinigung.
Links und Literatur
Über das Zurückgeben. Ein Interview von Gabriele Metzler mit Bénédicte Savoy. 2021 Zeitgeschichte. Link
Bénédicte Savoy – Kolonialkunst muss zurück nach Afrika. Sternstunde Philosophie Oktober 2020 SRF.
Rebekka Habermas. Restitutionsdebatten, koloniale Aphasie und die Frage, was Europa ausmacht. bpb 2019.
Koloniale Raubkunst: «Bei der Rückgabe gibt es kein Limit». David Eugster, 2.2.23 swissinfo, Link
Benin Bronzen – Begriff und historischer Hintergrund
Was ist mit dem Begriff Benin Bronzen eigentlich gemeint? Eine Erklärung auf Deutschlandfunk Kultur lautet wie folgt:
„Benin-Bronzen“ ist ein Sammelbegriff für Kunstwerke, die sich bis 1897 als Schmuck am Palast des Königreichs Benin in der Stadt Benin befunden haben. Heute sind sie auf der ganzen Welt verteilt, vor allem in Europa und in den USA. Viele sollen nun aber zurückgegeben werden. Die Reliefs, Plastiken und Tafeln geben verschiedenste Motive wieder: Menschen und Tiere, Ahnendarstellungen, Gebrauchs- und Ritualgegenstände, manchmal zwei-, manchmal dreidimensional. Sie hingen an den Wänden des Palastes, innen wie außen, schmückten aber auch Ahnenschreine. Insgesamt sollten diese Arbeiten, die zum Teil schon im 16. Jahrhundert entstanden, den Oba, das politische und geistige Oberhaupt des Königreichs, aber auch die Königsmütter ehren. Damit sind die Benin-Bronzen auch Zeugnisse der jahrhundertealten Entwicklung der Kultur dieser Region und ihrer Menschen. Der Begriff „Bronzen“ ist allerdings etwas irreführend. Manche der mehreren Tausend bekannten Objekte wurden auch aus oder mit Holz, Textilien, Leder und anderen Metallen gefertigt.»
Historischer Hintergrund
1897 eroberten britische Truppen das Königreich Benin, verwüsteten die Hauptstadt und plünderten den Königspalast. Im Zusammenhang mit diesen Plünderungen wurden tausende von Bronzen ausser Landes geschafft und verkauft. Dementsprechend finden sich Teile dieser Beute über die ganze Welt verteilt in Sammlungen und Museen.
Digital Benin
Beschreibung auf der Webseite des MARKK: «Auf der digitalen Plattform werden die im späten 19. Jahrhundert geraubten und weltweit zerstreuten Kunstschätze aus dem Königreich Benin dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Initiiert wurde das Projekt im Oktober 2020 durch das Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Ein vierzehnköpfiges internationales Projektteam, unterstützt durch fünf wissenschaftliche Berater:innen in Nigeria, Kenia und den USA, machte sich an die Arbeit, weltweit Sammlungen zu kontaktieren, die relevanten Objektdaten zusammenzutragen und für die Plattform zu bearbeiten. Das Ergebnis: 131 Museen und Institutionen aus 20 Ländern, darunter Australien, Neuseeland, die Vereinigten Staaten, Kanada und Israel sowie 14 europäische Staaten, wirkten daran mit, über 5.246 Objekte zu dokumentieren. Als beispielloses Wissensforum stellt Digital Benin neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die die digitale Dokumentation der verlagerten Objekte mit mündlichen Überlieferungen, Objektforschung, historischen Zusammenhängen, einem grundlegenden Edo-Sprachkatalog, Provenienzangaben, einer Karte des Königreichs Benin und Museumssammlungen weltweit zusammenführt. Die fundierte, interaktive Plattform liefert somit den seit Langem geforderten Überblick zu den im 19. Jahrhundert geplünderten Hofkunstwerken, macht die Bestände erstmals sichtbar und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Katalog konzentriert sich auf Objekte, die im Februar 1897 von britischen Truppen aus dem Königreich Benin (heute Edo State, Nigeria) geplündert und unmittelbar danach über die ganze Welt verteilt wurden. Die historischen Benin-Objekte sind Ausdruck der Kunst, Kultur und Geschichte Benins und wurden ursprünglich als königliche Repräsentationskunst, zur Darstellung historischer Ereignisse, zur Kommunikation, in der Glaubenspraxis und zur Durchführung von Ritualen verwendet.»
Diskussion um die Rückgabe von Benin Bronzen aus Deutschland 2022-2023
In deutschen Museen gibt es rund 1130 Benin Bronzen. Es handelt es sich um mehr als 1130 Artefakte aus dem Lindenmuseum in Stuttgart, dem Berliner Humboldt-Forum, dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, dem Hamburger Museum für Kulturen und Künste der Welt und den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. 2022 wurde das Eigentumsrecht vom deutschen Staat wieder an Nigeria zu übertragen. «Ich danke der deutschen Regierung für den bahnbrechenden Beschluss. Deutschland ist als erstes europäisches Land einem formellen Abkommen beigetreten, alle Besitztümer aus der Kolonial-Ära an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Sie haben die Standards dafür gesetzt, wie Versöhnung aussehen sollte. Ich hoffe sehr, dass andere europäische Länder, die immer noch solche Artefakte von uns besitzen, in ihre Fußstapfen treten werden», sagte Zubairo Dada, nigerianischer Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten. In der Diskussion stand, dass die Benin Bronzen in Benin City in einem eigens dafür zu bauenden Museum ausgestellt werden sollten.
Deutschland ist das erste Land, das eine Delegation geschickt hat, und Benin Bronzen vor Ort zurückgegeben hat.
Es gibt aber auch Kritik an dieser Rückgabevereinbarung, und zwar von der New Yorker «Restitution Study Group». Dies ist eine Organisation von Nachfahren westafrikanischer versklavten Menschen, die die pauschale Restitution der Benin-Bronzen ablehnt, da dies nur die bereichere, deren Vorfahren im Königreich Benin einst vom Sklavenhandel profitiert hätten. Mehr dazu in einem Interview von rbb mit dem Historiker Jürgen Zimmerer. Interview vom 5.1.23 Link
Im März 2023 verkündete der nigerianische Staatspräsident, Muhammadu Buhari, dass er die Eigentumsrechte per Dekret an den amtierenden Oba von Benin übertragen habe und damit die Bronzen formal in den privaten Besitz der Herrscherfamilie übergehen würden.
Die Reaktionen in Deutschland waren unterschiedlich. An verschiedener Stelle wurde von einer «übereilten» Rückgabe und einem «Fiasko» gesprochen. Die AfD hatte gar eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt. Als Reaktion auf Kritik wurde von öffentlicher Seite her betont, dass die Rückgabe der als Raubkunst geltenden Artefakte nicht an Bedingungen geknüpft seien und es einzig die Angelegenheit Nigerias sei, was mit den Bronzen zu geschehen hätte. Von verschiedener Seite her wurde darauf hingewiesen, dass die Haltung Nigeria vorschreiben zu wollen, was sie mit ihrem eigenen Besitz zu tun und zu lassen hätte, eine stark paternalistische Haltung widerspiegle und es um eine politische Instrumentalisierung gehe.
Links und Literatur zur Diskussion:
Zur Kontroverse um die Benin Bronzen in Deutschland: Kulturzeit vom 12.5.23 Link
Gesine Krüger. Wem gehört Afrikas Kulturerbe? Die Rückgabe der Benin-Bronzen und die Zukunft des Museums. Geschichte der Gegenwart, 17.5.2023. Link
Diskussion Restitution – Die Benin Bronzen in der Schweiz
Benininitiative Schweiz: Forschung und Dialog mit Nigeria
In einer Medienmitteilung vom Januar 2021 heisst es: «Acht Schweizer Museen haben sich in einem Verbund zusammengeschlossen, um gemeinsam die Provenienzen ihrer Sammlungen aus dem Königtum Benin in Nigeria zu untersuchen. Ziel der Initiative ist, Transparenz und Synergien für die Forschung und den Dialog mit Nigeria, dem Herkunftsland der Werke, zu schaffen.» Dabei sind u.a. das Museum Rietberg, das Bernische Historische Museum sowie das Museum der Kulturen Basel.
Auf der Webseite des Rietbergmuseums steht weiter: «Das vom Bundesamt für Kultur (BAK) geförderte Projekt hat die postkoloniale und kooperative Provenienzforschung zum Inhalt. Neben der Vernetzung der Museen in der Schweiz sind dabei die Zusammenarbeit und der Austausch mit Nigeria von grosser Bedeutung. So arbeiten die Museen auch mit einer nigerianischen Historikerin der Universität in Benin City zusammen. Zu den Methoden gehören Recherchen in Archiven in Europa und in Afrika, Interviews zur westlichen Sammel- und Handelspraxis sowie die Berücksichtigung von mündlich überlieferten Geschichten (oral history) der Handwerkergilden und der Palastgesellschaften in Benin City. Damit sollen die Objektbiografien und Handelsnetzwerke aus unterschiedlichen Perspektiven von Nigeria bis in die Schweiz rekonstruiert werden.»
Bericht des BIS-Forschungsprojektes und gemeinsame Erklärung 2023
Wichtige Erkenntnisse sind: «In den acht öffentlichen Museen der Schweiz wurden insgesamt 96 Objekte identifiziert, die dem Königtum Benin zugeordnet werden können. Dabei reicht die Anzahl von Benin-Objekten von drei (Schlossmuseum Burgdorf) bis zu 21 Werken (Museum der Kulturen Basel). Das Forschungsteam entwickelte vier Kategorien, um die Benin-Objekte einzuordnen»: 1. geplündert, 2. wahrscheinlich geplündert, 3. wahrscheinlich nicht geplündert, 4. nicht geplündert. In Schweizer Museen gibt es 96 Benin Bronzen, wovon mehr als die Hälfte den ersten zwei Kategorien zuzurechen sind. Link
Zusätzlich wurde auch eine gemeinsame Erklärung (Joint Declaration) zum zukünftigen Umgang mit den Benin-Sammlungen und zu geplanten Kooperationen zwischen Nigeria und Schweizer Museen veröffentlicht. Link
Restitution – Dahomey – Benin
Rückgabe von Frankreich von Raubkunst aus Dahomey an den Staat Benin
Rückgabe von Raubkunst aus Dahomey
2021 hat Frankreich 26 Kunstwerke aus dem Königreich Dahomey aus der Königsstadt Abomey an Benin zurückgegeben. Diese zentralen Kunstwerke, u.a. Statuen von Königen, sind 1892 von der französischen Armee gestohlen worden.
Bevor die Kunstwerke nach Benin zurückkehrten, wurden sie in Paris im Museum Quai Branly ausgestellt.
– Ausstellung im Musée du quai Branly 2022 Link
Zur grossen historischen Bedeutung der Rückgabe dieser Gegenstände:
– Frankreich gibt koloniale Raubkunst zurück. Artikel und Interview mit Bénédicte Savoy bei Deutschlandfunk, Oktober 2021. Link
Hintergrundinformation zum Thema Raubkunst, Dahomey und Restitution:
– Kunsthistorische Kolonisierung 1894, Veronica Orsi. Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe. Hsg. Bénédicte Savoy u.a. Berlin 2021. S. 136-139.
Material für den Unterricht
Geschichte von Dahomey
Siehe auf dieser Webseite unter Afrika: Dahomey-Benin
Restitution
Felmin Sarr und Bénédicte Savoy hatten 2021/22 je eine Gastprofessur an der ETH inne. Im Rahmen davon ist ein Video zum allgemeinen Thema Restitution mit Fokus auf der Rückgabe der Raubkunst aus Dahomey an den Staat Benin entstanden. In den 9 Minuten besprechen und erklären Sarr und Savoy im Gespräch mit zwei Jugendlichen das Thema Restitution und die Bedeutung der Rückgabe der Gegenstände in der Ursprungsgesellschaft sehr anschaulich. Die Gespräche finden u.a. im Kunsthaus Zürich und im Museum der Kulturen in Basel statt, d.h. der Link zur Schweiz ist gegeben. Dieses Video eignet sich sehr gut, um in Klassen die Thematik der Restitution zu diskutieren.
VIDEO der ETH D-Guess (2022): Restitute Objects – Ancestors Return
Provenienzforschung
Allgemein, im Schweizer Parlament, in Schweizer Museen
Provenienzforschung
«Provenienzforschung wird als eine Auseinandersetzung mit den historischen Erwerbungskontexten von Artefakten und Sammlungen begriffen. Dazu zählen die Untersuchung der Schweizer Kulturpolitik, von Erwerbungen für private und öffentliche Sammlungen sowie von transnationalen Verflechtungen des Kulturgütertransfers, insbesondere in Unrechtskontexten von Kolonialherrschaft oder dem NS-Regime. Die Rolle der Schweiz als politisch neutraler Staat im internationalen Gefüge, die hohe Dichte an öffentlichen und privaten Sammlungen sowie der Spitzenplatz auf dem internationalen Kunstmarkt sind gewichtige Gründe, Forschungen in diesen Bereichen voranzutreiben.» Webseite Schweizerischer Arbeitskreis Provenienzforschung
Provenienzforschung im Museum II. Sammlungen aus kolonialen Kontexten Grundlagen und Einführung in die Praxis. 2022. Publikation des Verbands Schweizer Museen zum aktuellen Stand der Provenienzforschung in der Schweiz. Link
Auf der Webseite des Verbands Schweizer Museen wird festgehalten, dass sie die die Schaffung einer unabhängigen Kommission auf Bundesebene grundsätzliche begrüssten. Allerdings erachten sie es als problematisch, dass die Kommission zugleich für Fälle im Zusammenhang mit Objekten aus kolonialen Kontexten angerufen werden solle. Diese Fragestellungen erfordere eine andere Expertise als die Beurteilung von Fällen im Bereich von NS-Raubkunst. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Kommission erst in strittigen Fällen tätig werden solle. Es wäre unabdingbar, dass den Museen bereits vorher eine Anlaufstelle für unbürokratische Beratung angeboten würde. Ein solches niederschwelliges Angebot wäre eine wertvolle Hilfestellung und könnte im besten Fall sogar eine Eskalation bis zur Anrufung der unabhängigen Kommission verhindern. Link
Provenienzforschung und Restitutionsthematik im Schweizer Parlament
Aus einer Anfrage vom 5.5.2021: «In einem Schreiben vom 11. Februar 2021 an das BAK erklärten sich 24 Professor*innen, Museums- oder Sammlungsdirektor*innen, Kurator*innen und Spezialist*innen auf dem Gebiet der während der Kolonialzeit geraubten Kulturgüter aus der ganzen Schweiz bereit, an der Umsetzung der Motion mitzuwirken, die ihrer Meinung nach einem echten Bedürfnis entspricht.»
Überblick über Parlamentarische Vorstösse zum Thema NS-Raubkunst (auch kolonialer Kontext) ab 2010 Link
Provenienzforschung in Schweizer Museen
BERN
Bernisches Historisches Museum
Projekt: Spuren kolonialer Provenienz (2021-22) In diesem Projekt standen die ethnografischen Sammlungsprovenienzen am Bernischen Historischen Museum im Zentrum. (Archivbestandes Rudolf Zellers) Zellers systematischer Aufbau der ethnografischen Sammlungen am Bernischen Historischen Museum fiel in eine Hochphase kolonialer Expansion Europas (erste Hälfte 20. Jh.) und die Erforschung seines umfangreichen Archivbestandes suchte nach Hinweisen zu Provenienzen von Sammlungsobjekten, deren Besitzwechsel möglicherweise im Zusammenhang mit Unrechtskontexten geschah. Schlussbericht
Benininitiative. Das BHM ist eines der 8 Schweizer Museen, die sich an diesem Forschungsprojekt beteiligen.
ZÜRICH
Rietbergmuseum
2018/19: Ausstellung Die Frage der Provenienz: Einblicke in die Sammlungsgeschichte.
Diese Ausstellung war Teil der Sammlung, in dem sie sich auf 10 Gegenstände in der Dauerausstellung und dem Depot bezog. Das ausführliche Handout (46 S.) ist auf der Seite des Rietbergmuseums einsehbar.
2022/23: Wege der Kunst: Wie die Objekte ins Museum kommen.
«Im Fokus stehen somit die Provenienzen, also die Herkunftsgeschichten der Objekte, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Eng mit den Objektbiografien verbunden sind die vielschichtigen Begegnungen und Beziehungen zwischen Menschen, Institutionen und Ländern, die im Rahmen der Ausstellung näher beleuchtet werden.» Link
Völkerkundemuseum Zürich
Projekt: Werkstattreihe – 5 Fragen an die Sammlungen (2022-2024) «Woher kommen unsere Sammlungsbestände? Welche Geschichten haften ihnen an? Welche Könnerschaft steckt in den Objekten? Von welchen menschlichen Begegnungen sind sie Zeugnis? Und welche Bedeutungen haben die Sammlungen heute? Mit der Ausstellungsreihe «Fünf Fragen an die Sammlungen» denken wir aktuell das Museum als offene Werkstatt, als Raum, in dem Wissen gemeinsam erarbeitet und geteilt wird. Wir machen unsere Museumsarbeit sichtbar und laden dazu ein, die Sammlungen und Objekte aus immer neuen Perspektiven zu betrachten.»
Beispiel: 5 Fragen an Objekte aus China am Ende der Kaiserzeit. «Der Boxerkrieg in China endete 1901 mit mehr als 100’000 Toten, Unmengen an zerstörtem Kulturgut in Peking und geplünderten Objekten, die in Museen und Sammlungen der westlichen Welt gelangten. Eine neue Werkstatt-Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich nimmt mögliche Plünderware aus China in den Fokus. Wie soll damit umgegangen werden und was bedeuten die Objekte für heutige Chinesinnen und Chinesen?» Parallel dazu läuft ein Forschungsprojekt, das einen Überblick über Objekte aus dem Boxerkrieg, die sich in der Schweiz befinden, schaffen und überprüfen soll, warum und unter welchen Umständen sie in Schweizer Museen gelangt sind. Die gewonnenen Erkenntnisse werden fortlaufend in die Ausstellung einfliessen.
Kameruns Kulturerbe in Deutschland
Atlas der Abwesenheit: Kameruns Kulturerbe in Deutschland
Das Projekt
Die unglaubliche Anzahl von 40.000 Objekte aus Kamerun werden heute in öffentlichen Museen der Bundesrepublik Deutschland aufbewahrt. Zum Vergleich: Im British Museum gibt es 69’000 Inventarnummern für alle Länder Afrikas südlich der Sahara, im Ethnologischen Museum in Berlin sind es 75’000. Die 40’000 Objekte sind auf zahlreiche Museen über ganz Deutschland verteilt, so umfasst allein die Kamerun-Sammlung des Linden-Museums über 8000 Objekte. Hinzu kommen noch hundertausende Bild/Film und Audioaufnahmen und tausende von Fragmenten kamerunischer Menschen, die nach Deutschland gebracht worden sind. Eine zentrale Erkenntnis der Recherche ist, dass es weltweit keinen Staat gibt, der mehr Objekte aus Kamerun in öffentlichem Besitz hält als die Bundesrepublik Deutschland. Die Anzahl Objekte, die sich im öffentlichen Besitz in Deutschland befinden, übertreffen Bestände in den staatlichen Sammlungen in Kameruns Hauptstadt Yaoundé um ein Vielfaches. Diese Sammlungen weisen mit ca. 6000 Objekten die »typische« Größe für das Nationalmuseum einer ehemals von Frankreich kolonisierten Region auf. «Der »deutsche« Kamerun-Bestand ist zugleich der älteste weltweit, da hier bereits ab 1884 systematisch oft bereits sehr alte Kulturgüter entzogen und en masse ins Deutsche Reich abtransportiert wurden, die dann für die nachfolgenden Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien nicht mehr greifbar waren.» Link

Verteilung der Objekte weltweit. Atlas der Abwesenheit, S. 12/13.

IHVZ Atlas der Abwesenheit
Wie umgehen mit den geraubten Kulturgütern?
Restitution? Wie? Mit wem verhandeln?
An einer Diskussion an der TU Berlin zum Auftakt der Konferenz „Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ fragt der kamerunische Historiker Prince Alexander Kum’a Ndumbe III Lars-Christian Koch, den Leiter des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum: „Wer sind denn ihre afrikanischen Partner? Museen?“ Kum’a Ndumbe, der dem kamerunischen Königshaus der Bele Bele angehört, fährt fort: „Das Museum ist ein europäisches Konzept. Die Agencies wurden aus Königshäusern und heiligen Stätten geraubt, nicht aus Museen. Die Seele der kamerunischen Völker ist nicht in den Museen. Warum sind also das die Partner der Europäer? Europa sucht nach einem Ebenbild in Afrika.“ … „Deutschland ist voll, Kamerun ist leer. Die Objekte müssen zurück. Wir brauchen sie, um uns zu rekonstruieren“, sagt die kamerunische Germanistin Maryse Nsangou Njikam. Dass die geraubten Kulturgüter wieder an Kamerun zurückgegeben werden müssen, ist auf dem Podium Konsens. Tagesspiegel 2.6.23
Der Raub von Kameruns Kulturerbe:Wahn und Wissenschaft, Jörg Häntzschel, 5.6.23 Link
Interessanter Artikel zum Projekt in der sz: Eignet sich auch als Lektüre im Unterricht. Es geht um ausgewählte Ergebnisse der Studie zum kolonialen Kontext und welche Bedeutung diese Ergebnisse für den zukünftigen Umgang mit den «Agencies» haben sollten, siehe Thema Restitution.
Material für den Unterricht
Dieser Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland enthält sehr viel ausgesprochen interessantes Material um auch an Schweizer Schulen über die Frage der Provenienz, Restitution und ganz grundsätzlich über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit zu diskutieren.
Verteilung der Gegenstände in Deutschland und weltweit: Wo, warum, wieviel – wie wenig in Kamerun selber?
Karten und Statistiken: Auch in Schweizer Museen hat es Bestände, insbesonder in Basel ist eine grössere Anzahl zu finden. Es waren auch Vertreter der Basler Mission bei der Beschaffung / dem Raub dieser Gegenstände involviert.
Akteur:innen
Interessant sind die ein- bis zweiseitigen Biografien im Anhang, z.B.
- GONG NAR (Ngrté III) , alias Ngute/Ngutt, kamerunischer Widerstandskämpfer. S. 389
- KUM’A MBAPE BELE ba DOOH, alias LOCK PRISO, kamerunischer Widerstandskämpfer verwandt mit Rudolf Duala Manga Bell (Siehe Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland hier)
- NJAPNDUNKE (NJAPDOUNKÉ), Regentin in Foumban, Königsmutter. Starke Herrscherinnenpersönlichkeit. Zahlreiche Gegenstände aus ihrem Besitz sind heute im Berliner Museum.
- NJOYA (NZUEYA), Ibrahim Mbouombouo, Sultan der Bamun in Foumban. Sohn von Njapndunke, die ihn weiter berät. Er «schenkte» den Thron Mandu Yenu, der im ethnologischen Museum in Berlin steht Wilhelm II.
- Verschiedene weitere kamerunische Herrscherpersönlichkeiten
- KELLER, Jakob. Er war von 1890 bis 1914 während der deutschkamerunischen Kolonialepoche in der Kolonie und spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau der Basler Mission vor Ort. «Keller war für einen der umfangreichsten missionarischen Raubzüge in der deutsch-kamerunischen Kolonialgeschichte verantwortlich, über den sich heute noch Nachweise finden lassen.» S. 394.
- WUHRMANN, Anna (ab 1923: Rein-Wuhrmann). Basler Mission – Missionarin in Foumba
Agencies – (Objekte)
Savoy schlägt vor, den englischen Begriff „Agency“ zu verwenden, um über die geraubten Kulturgüter zu sprechen. Es gibt einen Anhang mit verschiedenen Agencies(Objekten) mit Kurzerklärung.
Auswirkungen und Folgen dieses Kulturraubes und der Objektzerstörungen
Nebst dem Umstand, dass hunderttausende von Objekten aus dem Gebiet des heutigen Kameruns in den Westen gebracht wurden, gab es auch das verbreitete Vorgehen von Mitgliedern der Basler Mission rituelle Gegenstände öffentlich zu verbrennen. «Das Verbrennen von Gegenständen in sogenannten ‹Götzenfeuern› war in der frühen Phase der Mission eine gängige Praxis, gegen das ‹Heidentum› vorzugehen (vgl. Nehring 2010: 30). Mit den Verbrennungen, oder ‹Autodafés›, sollten nach christlichem Verständnis die Seelen gereinigt werden (vgl. Fischer 2015: 187). Gleichzeitig sollten sie öffentlich den Erfolg der Missionare in ihrem Kampf gegen das ‹Heidentum› symbolisieren.» Link
In mehreren Artikeln im Atlas der Abwesenheit wird die Thematik der Auswirkungen und Folgen dieses enormen kulturellen Verlusts in den Herkunftsgesellschaften im heutigen Kamerun diskutiert. Dieses Thema kann auch mit Schüler:innen sehr gut angeschaut und diskutiert werden.
Restitution
Das Thema Restitution kann beispielsweise an den folgenden zwei Objekten besprochen werden. Zu beiden ist bereits einiges geschrieben worden und verschiedene Parteien haben sich aktiv für eine Restitution eingesetzt.
Thron Mandu Yenu der Bamun aus Fumban
Beim Thron Mandu Yenu der Bamun aus Fumban handelt es sich um den Thron des Sultans in der Stadt Fuban. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang er als «Geschenk» an Wilhelm II. nach Deutschland. Anhand dieses Objekts lässt sich sehr gut die Frage diskutieren, wie freiwillig dieses «Geschenk» im Kontext der kolonialen Machtverhältnisse tatsächlich war.
Worddokument mit Bildern, Texten und Links für den Unterricht
Ngonnso
Die als Ngonnso’ bezeichnete weibliche Statue stammt aus dem historischen Königreich Nso’ im Nordwesten Kamerun. Die historische Anführerin Ngonnso ist Gründerin und spirituelle Leitfigur der Nso. Unter ihrer Führung stiegen die Nso Anfang 15. Jahrhundert zu einer einflussreichen Gruppe auf. Nach ihrem Tod um 1421 wurde sie zur «spirituellen Leitfigur und alle Lebensbereiche der Nso (geistig, politisch, allgemein) richteten sich nun nach ihrer Anwesenheit und ihren Ideen. Ngonnsos Lebenskraft nahm die Gestalt einer mit Kauris überzogenen Skulptur an – diese waren damals eine der Tauschwährungen der Nso und zeugten nicht nur vom hohen Wert, sondern auch von der Unschätzbarkeit der Figur. Denn die Ngonnso Statue war nicht nur spirituell aufgeladen; sie gab den Nso auch ihre politische Ordnung und diente ihnen als Brücke zwischen dem 1. Nso oral history. Diesseits und der Welt der Ahnen.»
Nach Rückgabeforderungen während der letzten 40 Jahren wurde 2022 beschlossen, die Statue zurückzugeben.
Fogha MC. Cornilius Refem (Wan Wo Layir). Den Tod bejahen, um dem Leben Platz zu machen. Warum wir Restitutionen wollen. Atlas der Abwesenheit, S. 332 – 341. Link
Das dekolonisierte Museum
Das Museum der Zukunft
Was in den ethnologischen Museen begann, betrifft heute alle Museen, so die These der Professorin für Kunstgeschichte an der Jawaharlal Nehru University in New Delhi, Kavita Singh. Gesine Krüger weist in ihrem Artikel «Wem gehört Afrikas Kulturerbe» auf die wichtigsten Punkte hin:
«Selbst wenn das Museum, verstanden als Kunst- oder Nationalmuseum, westlichen Ursprungs ist, so ist es inzwischen als Institution globalisiert und damit geht eine Veränderung einher. Die spezifische Herausforderung ethnologischer Museen, den Kontext der fremden Dinge zu erklären, betrifft heute jedes Museum weltweit, denn Europa, so Singh, ist längst durch Mobilität und Migration, durch den Aufstieg neuer Ökonomien und aufgrund einer Neuordnung der Welt nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes dezentriert worden. So wird das Museum „zum Schauplatz radikaler Begegnungen, die durch radikale Verschiebungen hervorgerufen werden – unsere eigenen ebenso wie die der Objekte, die wir betrachten“.
Singh geht in ihrem Vortrag mit dem programmatischen Titel „The Future of the Museum is Ethnographic“, davon aus, dass wir uns in einer zunehmend globalisierten Welt alle gegenseitig erklären müssen, dass jedes Museum, also auch das europäische Kunstmuseum (und seine Ableger in aller Welt) zum „ethnographischen“ Museum wird, das dem globalen Publikum Objekte nicht nur zeigen kann, sondern durch Übersetzung zugänglich machen muss.
Singh zeigt damit etwas Wichtiges. Nicht der Universalismus wird herausgefordert, sondern eine westliche Position, die sich selbst als universalistisch versteht und den Rest der Welt als partikular. Es ist keineswegs kulturrelativistisch, davon auszugehen und zu verstehen, dass andere Regionen der Welt eine andere Geschichte und andere Vorstellungen etwa von Kunst, Besitz, Ästhetik, Objekten, Individualität etc. haben. Im Gegenteil, und das ist ja im Grunde auch ein Anliegen von Brigitta Hauser-Schäublin, wären die Restitutionsdebatten eine Gelegenheit, sich mit der Geschichte und Gegenwart anderer Weltregionen oder „Kulturen“ zu befassen und etwas zu lernen. Allerdings gerät Afrika fast ausschließlich in den Blick, wenn es Anlass zur Skandalisierung gibt oder diese herbeigeschrieben wird.»