Freskomalereien und Sgraffito an der Aussenwand sowie einer Innenwand des Schulhauses Wylergut
Entstehung und Konzeption des Wandbilds 1949
1949 haben die beiden sozialistischen Künstler Eugen Jordi und Emil Zbinden das Wandbild im Schulhaus Wylergut erstellt. Sie wurden von der Stadt Bern beauftragt und die Reaktion in den Medien auf das fertige Wandbild war durchwegs positiv.
Das Schulhaus Wylergut entstand als Teil eines grösseren Projekts. Ab 1943 wurde die Siedlung Wylergut gebaut, eine Siedlung zusammengesetzt aus erschwinglichen Einfamilienhäusern und preisgünstigen Mietwohnungen. Im Zentrum der Siedlung stand u.a. das Schulhaus Wylergut. Die genossenschaftliche Trägerschaft wie auch die grosse Mehrheit der Erstbezüger stammten aus der Arbeiterbewegung. Hauptarbeitgeber der Bewohner:innen des neuen Quartiers waren die eidgenössischen Postverwaltung und die nahe gelegene Waffenfabrik.
Weitere Informationen im Text von Etienne Wismer
Das Wandbild besteht aus 24 Quadraten, die jeweils eine Illustration passend zum jeweiligen Buchstaben enthält. Die Sujets entsprechen in etwa denjenigen, die in zeitgenössischen Kinderbüchern zu sehen sind. Abgebildet sind neben einzelnen Gegenständen vorwiegend Tiere oder Pflanzen. Die Felder der Buchstaben C, I und N hingegen sind mit drei stereotyp dargestellte Männergesichtern, gelb, rot und schwarzbraun, illustriert. Darin wiederspiegelt sich die zeitgenössische Annahme, dass Rassen existieren und die Menschen dementsprechend in solche eingeteilt werden können. Das nach wie vor von kolonialen Wertvorstellungen geprägte Weltbild zeigt sich weiter auch darin, dass diese drei Menschendarstellungen in die Nähe der Natur gerückt werden. Dies im Gegensatz zu weissen Menschen, die in diesem Alphabet nicht präsent sind.
Wettbewerb der Stadt Bern: Wie umgehen mit dem Wandbild?
Auslöser:
Im März 2019 trugen der Berner Rassismus Stammtisch und der Bund den Umstand an die Öffentlichkeit, dass das Wandbild mit rassistischen Abbildungen nach wie vor unkommentiert im Primarschulhaus Wylergut zu sehen sei. Dem Bauinventar der Stadt Bern ist zu entnehmen, dass das Gebäude sowie das Alaphabet als erhaltenswert eingestuft werden.
Wettbewerb der Stadt Bern (August 2019)
Aus der Ausschreibung: «Die Stadt Bern nimmt ein W erk der Künstler Eugen Jordi und Emil Zbinden von 1949 als exemplarische Chance, ihren Anteil am Kulturerbe der Kolonialzeit im öffentlichen Raum – und besonders im Schulkontext – zu reflektieren. Die Wandmalerei zeigt ein Alphabet, welches die Buchstabenfolge mit Tierbildern, einzelnen Pflanzen und Artefakten, aber auch mit drei stereotyp dargestellten Menschen aus Asien, Afrika und Amerika illustriert.» (…) «Das Projekt hat zum Ziel, das implizit rassistisch geprägte Kunstwerk zeitgenössisch zu verorten und zu diskutieren. Das geschieht in Form eines Auftrags für eine künstlerische Arbeit, welche die transdisziplinären Beziehungen zwischen Kunst, Pädagogik und Politik berücksichtigt.«
Übermalung der drei Flächen der Buchstaben C, I und N
Im Juni 2020 wurden die drei Quadrate der Buchstaben C, I und N von einer unbekannten Gruppe mit schwarzer Farbe übermalt. In einem Bekennerschreiben fordert die Gruppe die Enfernung des Wandbildes, da «drei Menschen stereotyp, rassistisch und fremdbezeichnet dargestellt» würden.
Die Stadt Bern sah von einer Strafverfolgung ab und schrieb, dass sie die Kritik am Wandbild nachvollziehen könne, dass sie in dieser Form aber nicht die richtige Vorgehensweise sehe. Dieses Vorgehen wurde z.T. kritisiert und es gab auch die Forderung, den ursprünglichen Zustand des Bildes wiederherzustellen. Die übermalte Version bleibt bestehen und ist in dieser Form Teil des Projekts der Gruppe «Das Wandbild muss weg».
Bekanntgabe des Siegerprojekts «Das Wandbild muss weg»
Im August 2020 fanden die Präsentationen von fünf Projektvorschlägen statt.
Im März 2021 wurde dann von der Stadt Bern das Siegerprojekt bekannt gegeben. «Die Fachjury hat nun entschieden, dass das Projekt mit dem Titel «Das Wandbild muss weg!» weiterverfolgt werden soll. Demnach soll das Wandbild aus der Schule entfernt und in ein Museum verlegt werden. … Mit der Schenkung an ein Museum soll eine Praxis der kritischen Aufarbeitung der Berner Kolonialgeschichte initiiert werden, zum Beispiel in Form einer Ausstellung. Das Projektteam plant zudem Workshops für Lehrkräfte und öffentliche Veranstaltungen.»
Auf ihrer Homepage beschreibt die Gruppe das Ziel ihres Projekts wie folgt:
Ziel des transdisziplinären Vorhabens ist eine gesellschaftsübergreifende Debatte zum schweizerischen Kulturerbe der Kolonialzeit, eine Reflexion des Nachwirkens von Rassismus in der Gegenwart und ein Beitrag zur zeitgenössischen Erinnerungskultur: Was ist für wen in dieser Stadt «erhaltenswert»? Wer definiert, was als erhaltenswertes Kulturerbe gilt? Wessen Kulturerbe bleibt von dieser Definition ausgeschlossen? Wie hängt die koloniale Vergangenheit mit einer postkolonialen Gegenwart zusammen?
«Das Wandbild kommt weg»
Auf der Webseite «Das Wandbild muss weg» kann man die verschiedenen Schritte, die zur Entfernung führen, nachverfolgen. Link
So fanden z.B. im April 21 Probebohrungen statt und im April 2023 wurde vom Verein mit dem Bernische Historische Museum ein Vertrag über eine geplante Ausstellung rund um das Wandbild unterzeichnet.
Thomas Pauli-Gabi, Direktor Bernisches Historisches Museum am 3. Januar auf SRF2 Kultur:
«Meine erste Reaktion war: Jetzt werden wir zur Entsorgungsstelle von unliebsamer Kunst, das kann es ja nicht sein. Beim weiteren Überlegen habe ich dann gedacht: Eigentlich ist das eine Chance für uns, weil wir dieses Bild zum Thema Koloniale Verflechtungen Berns – in der Geschichte – und zum Thema Rassismus – sehr aktuell! – in einer Ausstellung zeigen sollten. Denn das wissen die Wenigsten: wir haben die drittgrösste Ethnografische Sammlung in der Schweiz in unserem Haus und da stellen sich natürlich viele Fragen rund um die koloniale Vergangenheit»
Nach wie vor gibt es allerdings auch Widerstand gegen das Projekt.
Ein Berner Anwalt fordert «mit einer baupolizeilichen Anzeige, dass die Vorarbeiten zur Entfernung des «Illustrierten Wandalphabets» im Schulhaus Wylergut eingestellt werden. Er verlangt, dass zuerst in einem Baubewilligungsverfahren darüber entschieden wird, ob das Wandbild überhaupt entfernt werden darf. Diese Entfernung soll für die Frühlingsferien geplant sein.» (Journal B, 29.3.2023)
Im Journal B werden verschiedene Beiträge zur erneuten Debatte um das Wandbild veröffentlicht. link
Die Baurechtsbeschwerde des Berner Anwalts wurde abgewiesen. Dementsprechend konnte die Abnahme des Wandbildes im Juli begonnen werden.
Zeitplan zur Abnahme des Wandbilds und zur Ausstellung im Bernisch Historischen Museum
Am 11. April 23 informieren die Stadt Bern, das Bernische Historische Museum, die Hochschule der Künste Bern (Fachbereich Restaurierung und Konservierung) und das Projektteam die Medienschaffenden über den Stand des Projekts und das weitere Vorgehen. Das Wandbild soll bis Ende 2023 abgenommen und dem Bernisch Historischen Museum übergeben werden. Dort soll 2024 eine Ausstellung stattfinden, in welcher das Wandbild kontextualisiert wird. Somit soll auch eine öffentliche Debatte möglich sein.
Die Konferenz fand ein breites Echo in den Medien. So titelt z.B. der Bund am 14.4.23 «Das Wandbild zu entfernen, ist vor allem ein Akt der Rücksichtnahme» link
Zu weiteren Stimmen zum Thema Wandbild siehe auch auf der Webseite der Projektgruppe link
Juli 2023: In den Sommerferien wird das Wandbild entfernt. In der Hochschule der Künste wird es aufbereitet und gelagert. Im Frühling 2024 wird es im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Schweiz und Kolonialismus im Bernischen Historischen Institut gezeigt. Artikel im Bund zur Abnahme des Wandbildes im Juli. Link
Februar 2024: Beitrag Journal B: «Wie das Wandbild die Restaurierungsethik herausfordert». In diesem Beitrag wird von der Restauratorin Christel Meyer-Wilmes (Berner Fachhochschule
Hochschule der Künste Bern) auf die Perspektive der Restauration Bezug genommen. Sie verweist auf die Charta von Venedig (1964), die als zentrale und international anerkannte Richtlinie in der Denkmalpflege und als wichtigster denkmalpflegerischer Text des 20. Jahrhunderts gilt. Darin ist das Beispiel, dass eine Wandmalerei mit rassistischem Inhalt abgenommen wird, nicht vorgesehen. Dementsprechend brauchte auch sie ihre Zeit sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und nun komplett hinter der Abnahme zu stehen. Link
«Das Wandbild im Museum»
Das Wandbild: Eine Schenkung ans Bernische Historische Museum 2022
Das Wandbild ging als Schenkung an das Bernische Historische Museum und wird 2024 im Rahmen einer Ausstellung gezeigt.
Gemeinsam mit weiteren Akteur:innen planen die beiden Organisationen zwischen 2022 und 2024 öffentliche Veranstaltungen und Vermittlungsformate zur bernischen Kolonialgeschichte. Weitere Informationen zum Projekt «Das Wandbild muss weg!» finden sich auf der Projektwebseite.»
Ausstellung im Bernischen Historischen Museum 2024
Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern. Die Ausstellung des Vereins «Das Wandbild muss weg!» 25.4.2024–1.6.2025
«Das Museum übernimmt das historische Wandbild im Frühling 2024 und schafft Raum für die gesellschaftlich geforderte Debatte. Im Rahmen eines Gastkuratoriums gestaltet der Verein eine Ausstellung dazu. Diese widerspiegelt die vielstimmige Diskussion rund um das Wandbild und den Umgang damit. Zudem werden beständige koloniale Muster und struktureller Rassismus im Jetzt verortet. Die Ausstellung bietet Denkanstösse für den öffentlichen Diskurs, wie wir als Gesellschaft mit diesem Kulturerbe aus der Kolonialzeit umgehen möchten.»
Vernissage der Ausstellung am 24.4.24
«Für uns alle gilt, wenn auch in unterschiedlicher Weise: Nur wenn wir Rassismus und die Auswirkungen von Kolonialismus diskutierbar machen, öffnen sich uns neue Wege für eine gerechtere Zukunft» Der Verein «Das Wandbild muss weg!»
Artikel zur Ausstellung
«Das Wandbild ist hier», Artikel in der Hauptstadt 25.4.24, Andrea von Däniken, Jürg Steiner, Link
Rassismus – «Hauptstadt»-Brief #31, Artikel in der Hauptstadt 25.4.2, Jürg Steiner, Link
«Das Historische Museum hat sich getraut, die Kuratierung der Ausstellung unter klaren Abmachungen dem Verein «Das Wandbild muss weg!» zu überlassen. Ich finde, das Wagnis hat sich gelohnt. Die Ausstellung, die wir für dich hier beschreiben, ist für Besucher*innen zwar anspruchsvoll, aber eine Bereicherung. In der schrillen Debatte um postkoloniale Wissenschaft und woke Kultur wirkt sie wie eine kleine Oase der Sorgfalt und Unaufgeregtheit.»
«Eine strenge neue Heimat für das Problem-Wandbild», Artikel im Bund, Michael Feller, 24.4.24, Link
«Das Wandbild ist jetzt am richtigen Ort», Kommentar im Bund, Michael Feller, 24.4.24. Link
«Dabei ist der Fall klar: Ein Alphabet auf einer Schulhauswand ist auch ein Lehrmittel, wie die Initiatorinnen und Initiatoren der jetzigen Lösung sagen. Wir können unseren Kindern nicht mit einem rassistischen Bild die Welt erklären. Dieses Argument wird nun höher gewichtet als etwa die – angebliche – Unantastbarkeit der Kunst. Zu Recht.»
«Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern». Artikel ch-cultura, 24.4.24, Link
«Ein Wandbild für die Öffentlichkeit», Artikel in der WOZ, Silvia Süess, 26.4.24, Link
Das Wandbild Wylergut im Geschichtsunterricht zum Thema postkoloniale Schweiz
Was das Wandbild als Quelle für den Geschichtsunterricht so spannend macht ist, dass verschiedene Zeitebenen der Schweizer Geschichte mit den Schüler:innen diskutiert werden können. Es kann der Einfluss der Vergangenheit auf heutige Debatten aufgezeigt und diskutiert werden.
3 Ebenen
–Entstehungszeit 1949 – Wertvorstellungen in der Schweizer Gesellschaft
–Rückblick: Die Schweiz als Teil des kolonialen Projekts Europas
–Gegenwart: Wie gehen wir als Gesellschaft heute mit diesem Wandbild um. Analyse unterschiedlicher Standpunkte.
MATERIAL FÜR DEN UNTERRICHT
Unter dem folgenden Link (Material für den Unterricht) kann eine Worddatei mit möglichen Fragestellungen und einer breiten Auswahl an Quellen runtergeladen werden. Auf den ersten zwei Seiten wird Bezug auf die drei Zeitebenen genommen. Zusätzlich werden zu der Geschichte des Wandbilds möglich Fragestellungen sowie die Angaben zu den zusammengestellten Quellen aufgeführt. Auf den folgenden 17 Seiten sind dann die entsprechenden Quellen aufgeführt.
Material für den Unterricht von Ashkira Darman (Mitglied des Teams des Siegerprojekts beim Wandbildwettbewerb)
Weitere Informationen:
Links: Das Wandbild muss weg!, Stadt Bern, bern-kolonial.ch, Tangaram 44 (Artikel zum Wandbild von Kathrin Oester, S. 157.)