Rassismus: Begriff und Definitionen
Auch in der Schweiz wird seit Juni 2020 im Zusammenhang mit den BLM-Demonstrationen vermehrt über das Thema Rassismus gesprochen.
Im jährlichen Rassismusbericht erstellt von humanrights.ch und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus steht: «Im 2020 debattierte die Schweiz- und die ganze Welt über strukturellen, institutionellen oder Alltagsrassismus in einem noch nie dagewesenen Ausmass. Leider drehte sich die Debatte allzu oft um die Frage, ob es in der Schweiz überhaupt Rassismus gäbe und ob von einem ernsthaften Problem geredet werden kann. Die Ergebnisse des Rassismusberichts zeigen aber deutlich, dass zahlreiche Menschen in der Schweiz alltäglich Rassismus und/oder rassistische Diskriminierung in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Internet und im öffentlichen Raum erleben.»
Zum Thema BLM-Demonstrationen in der Schweiz siehe auf dieser Webseite: Postkoloniale Schweiz aktuelle Themen und Debatten
Begriff «Rassismus»
Rassismus kann als geschichtsprägende Macht während der Neuzeit bis heute gelten. Er setzt sich aus den zwei Dimensionen der Ideologie und der Praxis zusammen. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelt sich in Europa der moderne Rassismus und die rassistische Kategorisierung radikalisiert sich im 19. Jahrhundert.
Der Begriff selber entstand allerdings erst in den 1920er Jahren um das «Rassen»-Konzept zu kritisieren. Geulen schreibt, dass er geprägt wurde als übergeordneter Name für jene radikalen Bewegungen und Regime, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Politik nicht mehr nur der Ausgrenzung und Anfeindung, sondern der physischen Vernichtung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen umsetzten.
Definition «Rassismus»
Ein zentraler Aspekt bezüglich Rassismus ist die Verschränkung der Ideen- beziehungsweise Ideologiegeschichte mit rassistischen Praktiken. Nur dann kann die strukturelle und institutionelle Ebene von Rassismus verstanden werden. Um diese Verschränkung vornehmen zu können, fehlen oft noch entsprechende mikrohistorische Lokalstudien. Maria Alexopoulou weisst weiter darauf hin, dass Folgendes ein zentrales Desiderat bleibe, und zwar «die historiografische Untersuchung der Frage, ob Rassismus nicht primär eine Praxis ist, die sich mit Wissensbeständen verschränkt und Macht- und Ungleichheitsverhältnisse herstellt oder verstetigt, die dann als Ideologie politisch verfügbar wird oder bleibt, wobei Wissen, Praxis und Ideologie zu unterschiedlichen Zeiten auch immer wieder in Wechselwirkung treten.» (2023) Link
Bis anhin gibt es noch keine allgemein akzeptierte Definition von Rassismus. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenstellung von verschiedenen Herangehensweisen an das Thema.
Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz (2022) Link
Struktureller Zusammenhang – Othering
«Zusammenfassend können wir Rassismus also definieren als ein System von Ansichten, Überzeugungen und Praktiken, die historisch entwickelte und aktuelle Herrschaftsverhältnisse legitimieren und reproduzieren. Naturalisierung: Rassismus im modernen westlichen Sinn basiert auf der «Theorie» der Unterschiedlichkeit menschlicher «Rassen» aufgrund zugeschriebener biologischer, kultureller oder sozialer Merkmale, welche soziale Beziehungen zwischen Menschen als unveränderlich und vererbbar darstellen.
- Homogenisierung: Die Menschen werden dafür in Gruppen zusammengefasst und vereinheitlicht.
- Polarisierung: Diese in Gruppen zusammengefasste Menschen werden den anderen als grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenübergestellt.
- Hierarchisierung: Die Gruppen werden in eine Rangordnung gebracht.
Beim Rassismus handelt es sich also nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um die Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der so konstruierten Gruppen basieren. In diesem Sinn bezeichnet Rassismus immer ein durch gesellschaftliche Strukturen vermitteltes Herrschaftsverhältnis. Wenn also rassistische Phänomene in einem strukturellen Zusammenhang betrachtet werden, stehen rasch Verteilungsfragen und Machtbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen im Zentrum der Analyse. Strukturelle Aspekte des Rassismus erfassen daher nicht die psychologischen Ursachen, die Individuen dazu verleiten, anderen gegenüber feindselige oder gewalttätige Einstellungen zu hegen, sondern fragen nach den historischen, kulturellen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen rassistischer Unterscheidungen, die mit gesellschaftlichen Strukturen korrespondieren und die Ausgrenzung rassifizierter Personengruppen über die Unterscheidung wir/nicht-wir oder nicht-fremd/fremd betreiben. Es handelt sich demnach um einen Prozess des Andersmachens* (Othering). Rassistische Zuschreibungen bestätigen und reproduzieren Verhältnisse der Dominanz zwischen Gruppen durch herabwürdigende Unterscheidungen oder durch Abgrenzung.»
Gruppenbildung: Sozial konstruierte Gruppen, die weder eine objektive noch eine biologische Grundlage haben, sind im Alltag allgegenwärtig, beim Rassismus sind es sogenannte «Rassen». Wenn Gruppenzugehörigkeit einen Einfluss auf die Verteilung von Ressourcen hat, können konstruierte Gruppenunterschiede instrumentalisiert werden, um die eigene Vorrangstellung zu legitimieren.
Zur Arbeitsdefinition siehe S. 20 im Bericht
Mark Terkessidis spricht davon, dass die Definition des Gegenstandes Rassismus ein heikles Unterfangen sei. Christian Koller weisst darauf hin, dass man grundsätzlich eher «zwischen eher inhaltlichen, auf die biologistische Substanz des Rassismus abzielenden und eher formalen, auf seine sozial-psychologische Funktionsweise fokussierenden Definitionsversuchen unterscheiden» könne. Beide hätten aber ihre Probleme.
Christian Geulen betont, dass «Rassismus weder natürlich noch universal oder in anderer Weise metahistorisch sei, sondern ein Produkt menschlicher Kultur, eine Hervorbringung menschlichen Denkens, eine Form menschlichen Handelns und somit ein durch und durch historisches Phänomen. Das bedeutet vor allem: Der Rassismus ist wandelbar und er hat sich im Laufe der Geschichte in der Tat immer wieder verändert. Gemeinsamkeiten, die uns dennoch erlauben, seine historisch verschiedenen Formen miteinander zu verknüpfen, stehen nicht vorab fest, sondern stellen sich erst bei ihrer genaueren Betrachtung heraus: als wiederkehrende Strukturmerkmale und realhistorische Zusammenhänge.» Geulen betont weiter den folgenden Punkt. Wenn wir erkennen, «auf welche Weise der Rassismus an die Grundmaximen unseres Denkens anschliesst, sich ihnen anverwandelt oder sie instrumentalisiert, sind wir in der Lage, seine Wirkungsmacht zu begreifen und seine Überzeugungskraft effektiv zu mindern. Denn an Wirkungsmacht und Überzeugung hat der Rassismus bis heute leider wenig eingebüsst.» (2007)
Noah Sow beginnt seine Definition mit den folgenden Sätzen: «Um es an dieser Stelle mal kurz und prägnant zu sagen: Rassismus ist die Verknüpfung von Vorurteil mit institutioneller Macht. Entgegen der (bequemen) landläufigen Meinung ist für Rassismus eine «Abneigung» oder «Böswilligkeit» gegen Menschen oder Menschgruppen keine Voraussetzung. Rassismus ist keine persönliche oder politische «Einstellung», sondern ein institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weissen Alleinherrschaftserhalt wirken.» (2019)
Rassismus ohne «Rassenbegriff»
Heute gibt es einen Rassismus ohne Rassenbegriff:
«Nach der Erfahrung der NS-Verbrechen war der biologistische Rassismus diskreditiert. … Offen rassistische politische Organisationen und Subkulturen bestanden noch am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums. Auch der wissenschaftliche Rassismus sah sich in die Enge gedrängt. Hingegen entstanden neue Formen der Differenzkonstruktion, ein Rassismus ohne ›Rassen‹, der seine Forderung nach Trennung verschiedener Menschengruppen nicht mehr biologistisch, sondern kulturalistisch begründete, sich ansonsten aber wenig von den Argumentationsmustern des klassischen Rassismus unterschied. Dieser kulturelle Neo-Rassismus erlangte bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts einen erheblichen Einfluss.» (Christion Koller, 2015))
«Es ist von Kulturen, Gesellschaften, Völkern, Identitäten, Lebensformen und Lebensarten die Rede, die es durch Bekämpfung des anderen und Fremden um jeden Preis zu schützen gelte.» (Christian Geulen, 2007)
Maria Angelopoulou verweist darauf, dass Kulturessenzialismus und Überzeugungen kultureller Superiorität zu den Grundgedanken rassistischen Wissens gehörten und etwa im Kontext deutscher völkisch rassischer Konstrukte – wie auch insgesamt in Vorstellungen von White Supremacy – bis heute eine zentrale Rolle spielten. Somit werde bezüglich des Kulturrassismus nicht ein neuer Aspekt eingeführt, sondern ein Element, das kategorial nicht neu ist, im gegebenen zeiträumlichen Kontext adaptiv betont. (2023) Link
Verschiedene Formen von Rassismus
Es gibt verschiedene Formen von Rassismus. So sind in der Schweiz beispielsweise People of Color und Schwarze Menschen, Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja, Muslim*innen, Menschen mit Migrationsgeschichte und geflüchtete Menschen betroffen. Dementsprechend gibt es verschiedene Rassismen, beispielsweise:
- Anti-Schwarzer Rassismus
- Anti-muslimischem Rassismus
- Antiziganismus
- Antiasiatischem Rassismus.
Weitere Informationen zu den verschiedenen Rassismen z.B. auf MigrationsLab, Stichwort «Rassismus» Link
Struktureller Rassismus und Alltagsrassismus in der Schweiz
Verschiedene Ebenen des Rassismus
Struktureller Rassismus – englisch und französisch oft als systemischer Rassismus bezeichnet – ist zu verstehen als gesellschaftliches System von Diskursen, Handlungsmaximen und Normvorstellungen, die aus historisch gewachsenen Herrschaftsformen hervorgehen und tendenziell bestehende Ungleichheitsverhältnisse von rassifizierten Gruppen reproduzieren.
Dermassen verdichtete Vorurteilsstrukturen prägen auch politische, ökonomische und zivilgesellschaftliche Institutionen, Organisationen und Unternehmen. Diese regulieren im Rahmen etablierter Abläufe, Praktiken und Wertvorstellungen den Zugang von Gruppen oder Individuen (Mikroebene) zur gesellschaftlichen Teilhabe und bestimmen somit Lebenschancen durch den Zugang zu Arbeit, Bildung, Wohnen usw. Sind insbesondere staatliche oder private Institutionen beteiligt, sprechen wir von institutionellem Rassismus (Mesoebene), der Teil des übergeordneten strukturellen Rassismus (Makroebene) ist. Er umfasst Praktiken der Herabsetzung, Benachteiligung und Ausgrenzung von Gruppen und deren Angehörigen in Organisationen, Unternehmen oder Institutionen. Im Verlauf der Zeit wird das zugrundeliegende gesellschaftliche Gefüge unter neuen Vorzeichen reproduziert, verstärkt oder auch abgebaut. Wir gehen von einem vielfältigen und dynamischen Ineinandergreifen zwischen strukturellen Bedingungen und individuellen Handlungsmöglichkeiten (Agency) aus. (Grundlagenstudie, S. 21)
Racial Profiling als Teil strukturellen Rassismus
Bei strukturellem Rassismus mit «Blick auf Racial Profiling geht es vor allem um Rechtsgrundlagen, die Personenkontrollen aufgrund von z.B. rassifizierten Merkmalen ermöglichen sowie das gesellschaftliche Verhältnis, durch das bestimmte als «anders» markierte Gruppen aus der als weiß vorgestellten Gesellschaft ausgeschlossen und kriminalisiert werden. Dabei spielt die durch dominante gesellschaftliche Diskurse imaginierte, vermeintlich ethnisch homogenen Nation durch die Ausgrenzung von konstruierten «Anderen» eine funktionale Rolle.» Siehe dazu: Artikel «Racial Profiling», institutioneller Rassismus und Interventionsmöglichkeiten von Vanessa Eileen Thompson auf bpb (2022) entnommen. Link
Struktureller Rassismus in der Schweiz
Auf die Frage, ob es strukturellen Rassismus in der Schweiz gäbe, antwortet die Historikerin Pamela Ohene-Nyako 2020 in einem Interview im Tangaram 44, S. 109: Ja, man sieht und erlebt ihn tagtäglich. Er wird im Racial Profiling und der Gewalt, die manchmal damit einhergeht, sichtbar. Er kommt in der Schule, bei der Personalrekrutierung, aber auch in der Berichterstattung der Fachstellen gegen Rassismus und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus zum Ausdruck. Man erlebt ihn durch persönliche Geschichten und Reportagen. Ja, der strukturelle Rassismus bleibt in unserer Gesellschaft gegenwärtig. Fragt sich, ob die Mehrheit bereit ist, ihn wahrzunehmen. Link
Der Rassismus- und Migrationsforscher Rohit Jain geht in einem Interview vom Oktober 2020 «Rassismus wird in der Schweiz gern runtergespielt» auf die Unterscheidung von Alltags- und strukturellem Rassismus ein: «Rassismus bezeichnet nicht Menschen mit rechtsextremer Einstellung, sondern Strukturen mitten in der Gesellschaft. Dabei handelt es sich um ein System von Vorstellungen, Institutionen und Verhaltensmustern, das Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe höhere oder tiefere Positionen in der Gesellschaft zuordnet. Dies beeinflusst, wer welche Rechte, welche Privilegien und welche Anerkennung kriegt. Die erwähnten Beispiele von Alltagsrassismus sind nur die Oberfläche dieser komplexen Maschine und passieren oft unbewusst.»
Racial Profiling in der Schweiz
2024: Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
2024 hiess der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Leiturteil die Beschwerde von Mohamed Wa Baile gut, dass er 2015 Opfer einer rassistischen Polizeikontrolle im Zürcher Bahnhof wurde. Einerseits hält der EGMR fest, dass es zu einer Diskriminierung gekommen ist, andererseits wurden auch Verfahrensrechte verletzt, weil die Schweizer Gerichte und Behörden nicht gepfüft haben, ob Racial Profiling vorliegt.
Ausstellen einer Quittung als Massnahme gegen Racial Profiling
Zur Zeit ist es nur möglich vor Gericht zu gehen, wenn sich die betroffene Person weigert den Ausweis zu zeigen und die Staatsanwaltschaft dafür eine Strafe ausprechen wollte. Bei einer Kooperation ist es nicht möglich vor Gericht zu gehen. Anders würde sich die Situation darstellen, wenn Quittungen ausgestellt werden müssten. Dann könnten Betroffene, die sich diskriminiert fühlten, den Rechtsweg einschlagen.
HLS – Eintrag Rassismus fehlt bis zum April 2024
Bis Ende März 2024 gibt es im Historischen Lexikon der Schweiz keinen Eintrag zum Thema «Rassismus». Bei der Suche nach «Rassismus» gibt es einen Direktverweis auf «Fremdenfeindlichkeit». Mark Terkessidis weist bereits 2004 darauf hin, dass Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit Deckbegriffe im Zusammenhang mit der Thematik Rassismus sind.
Seit dem 8.4.24 gibt es einen Artikel zum Thema Rassismus Link
Zahlen und Fakten zu strukturellem Rassismus in der Schweiz
Erstmals präsentiert die Fachstelle für Rassismusbekämpfung im Feb. 2024 ihr Monitoring mit neuen Auswertungen zu rassistischer Diskriminierung. In der Broschüre «Rassismus in der Schweiz: Zahlen, Fakten, Handlungsbedarf» werden die Ergebnisse übersichtlich aufgezeigt. Link
Begriff «Race» und «Rasse»
Geschichte des Begriffs «Rasse»
Seit über 500 Jahren wird der Begriff «Rasse» im Zusammenhang mit Menschen verwendet. Zum ersten Mal auf eine Menschengruppe angewandt wurde der Begriff in Spanien im letzten Jahrzehnt des 15. Jh. Es ging um die Ausgrenzung der Mauren und Juden und dieser Zeitpunkt markiert auch den Zeitpunkt, als zusätzlich zur «Reinheit des Glaubens» die Idee der «Reinheit des Blutes» als Zugehörigkeitskriterium an Bedeutung gewann.
Das Konzept «Rasse» erlebte seit dem 18. Jahrhundert einen rasanten Aufstieg in Wissenschaft und Gesellschaft. Jakob Tanner spricht von einer wahren Obsession der Wissenschaft mit «Rassen». Das Projekt der «Vermessung» des Menschen war zentral und bis ins 20. Jahrhundert hinein sollten Rassentypologien empirisch belegt werden. Dementsprechend kam es auch zu einer Hierarchsierung der angeblichen «Rassen». Jürgen Osterhammel weist darauf hin, dass um 1900 das Wort «Rasse» in vielen Sprachen gebräuchlich war und das weltweite Meinungsklima von Rassismus durchtränkt gewesen sei und dass wenige die Vorstellung, die Menschheit sei in «Rassen» unterteilt, bezweifelt hätten. Inzwischen ist widerlegt, dass es so etwas wie Menschen-«rassen» überhaupt gibt. Dementsprechend ist auch das Konzept «Rasse» diskreditiert, aber nicht verschwunden, sondern «kulturell gedreht worden».
Christian Geulen weist darauf hin, dass der Rassenbegriff bereits von Beginn an fast immer eine ideologische Funktion hatte: «Er rechtfertigte die gewalttätige Ausgrenzung bestimmter Menschengruppen oder rief zu ihr auf. Gerade weil er im Prinzip willkürlich verwendbar ist, zugleich aber den Anspruch vertritt, etwas Natürlich-Objektives zu bezeichnen, ist er der vielleicht ideologieträchtigste Begriff, den die Neuzeit hervorgebracht hat. Sein impliziert Verweis auf eine natürliche Ordnung macht ihn zu einem Legitimations- und Begründungsbegriff, der Menschengruppen fundamental voneinander abgrenzt.»
Begriffe «Rasse» und «race»
Die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe «race» und «Rasse» geht auf ihre unterschiedliche historische Verwendung zurück.
In den USA des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff «race» dazu verwendet, die Diskriminierungsstruktur (jahrhundertelanger Ausbeutung Schwarzer versklavter Menschen) sichtbar zu machen. Das Ziel war, rechtliche Gleichstellung und Partizipation für diese Menschen zu erreichen.
In Deutschland hingegen wurde der Begriff «Rasse» als Kampfbegriff zur Diskriminierung verwendet. Dabei ging es um einen Angriff auf die demokratische Gleichheits- und Freiheitsvorstellung. Das Ziel war, die Ideen der rechtlichen Gleichstellung und Partizipation ganz allgemein zu torpedieren.
Aufgrund des Bedeutungsunterschiedes der zwei Begriffe wird «race» z.T. auch im Deutschen verwendet. Dies sieht man z.B. im Zusammenhang mit dem Konzept der Intersektionalität, bei dem es darum geht, das Zusammenwirken von Klasse, Geschlecht und «race» zu betrachten. Hier steht «race» für eine sozio-kulturelle Kategorie und es geht darum, eine soziostrukturelle Tatsache zu beschreiben. «Race» ist selbstverständlich keine analytische Kategorie, sondern muss als gesellschaftsspezifisches, sozio-kulturelles Konstrukt gesehen werden.
Sport und Rassismus
Rassismus und Sport: Geschichte
«Der moderne Sport, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat, ist ein Spiegel der Gesellschaft. So findet man alle Facetten des Rassismus seit jeher im Sport. Das geht von Vereinen, die im frühen 20. Jahrhundert keine Juden aufgenommen haben, über den Bereich des Kolonialismus und Kolonialrassismus, den Hooliganismus und Rechtsextremismus bis zu Spitzenathleten, die in Auschwitz ermordet wurden, oder sogenannten Völkerschauen an Olympia.» Mit dieser Aussage beginnt ein Interview mit Sporthistoriker Christian Koller von 2020. Auch im Schweizer Sport gab und gibt es Rassismus. Orientierten sich doch z.T. Schweizer Fussballfans in den 1980er Jahren an den englischen Hooligans. Dies wiederspiegelte sich in Naziparolen und Hitlergrüssen in den Fussballstadien.
Andererseits gab und gibt es im Sport auch immer Protestaktionen einzelner gegen Rassismus und Sportler:innen haben die Möglichkeit, innert kürzester Zeit sehr viele Menschen zu erreichen.
«Am 29. Juli 1995 grüssten beim Nationalliga-A-Fussballspiel Young Boys – Lugano YB-Fans in Stiefeln und Kampfhosen die YB-Spieler mit Hitlergruss, eine rot-schwarz-weisse Reichskriegsfahne wurde geschwenkt. Schon früher waren dunkelhäutige Spieler der Gästeteams im Berner Wankdorf-Stadion systematisch ausgebuht und sogar mit Bananen beworfen worden. Eine kleine Gruppe von YB-Fans um den Berner Journalisten Urs Frieden wollte das nicht länger hinnehmen. Im Frühjahr 1996 traten sie mit einer breit abgestützten Aktion gegen Rassismus an die Öffentlichkeit. Europaweit einmalig war, dass die Spieler der Young Boys 1996 mit der Trikotwerbung «Gemeinsam gegen Rassismus» spielten.» amnesty-webseite 2008
Sport und Rassismus aktuell
«Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, das sich auch regelmässig im Sport äussert; stellt der Sport doch ein Abbild der Gesellschaft dar.» Dieser Satz steht auf der Webseite «swiss sports history». Diese Webseite gibt es seit 2019 und ein Ziel ist die Vermittlung von Schweizer Sportgeschichte an Schulen. Neu gibt es das Projekt «Rassismus im Sport». Dort wird darauf hingewiesen, dass seit einigen Jahren auch in den Medien diese Problematik thematisiert werde, allerdings eher oberflächlich. Denn es werde «danach schnell zur Tagesordnung übergegangen, eine vertiefte Debatte über Gründe und Mechanismen von Rassismus im Sport und was man dagegen tun kann, findet in breiten Kreisen kaum statt. Häufig erhalten auch die Sichtweisen von Betroffenen zu wenig Raum.» An diesem Punkt setzt das neue Projekt an. Auf der Seite können z.B. Materialien heruntergeladen werden und es gibt die Möglichkeiten, Zeitzeug:innen in die Klassen einzuladen, die über das Thema Rassismus im Sport sprechen.
Material für die Schule:
Quellen, Text, Zeitzeug:innen:
– Factsheet «Rassismus im Sport» von «swiss sports history» Link (In diesem Factsheet gibt es Definitionen zu Rassismus, Beispiele von Rassismus im Sport und dem Kampf gegen Rassismus im Sport sowie Zitate von Sportler:innen, die von Rassismus betroffen sind.)
– Kurzporträts mit Zitaten von vier Sportler:innen und ihre Erfahrungen mit Rassismus: Sarah Akanji, Cyrill Pasche, Urs Frieden, Elias Bene Link
– Zeitzeug:innen oder Videos können bei «swiss sports history» gebucht werden. Zusätzlich wird auf der Seite Material zur Vor- und Nachbereitung zur Verfügung gestellt.
Links und Literatur
– Rassismus auf dem Fussballclub. Interview zum Vorfall im Wallis, FC Saxon. SRF, 2.5.24. Link
– Interview mit Christian Koller zum Theme Sport und Rassismus (19. Jh. bis heute), 2020 Link
– Interview mit Sarah Akanji zum neuen Projekt Sport und Rassismus von swiss sports history, Mai 2022 Link
– Interview mit Sarah Akanji. Sarah Akanji über EM-Finale: «Das sind keine Fans, sondern Rassist:innen». Juli 2021 Link
– Manda Beck, Rassismus im Sport: ein Spiegel der Gesellschaft, Webseite des Landesmuseums Link
– Tangaram 41, 2018: Sport und Rassismus. Link (Gibt es Rassismus im Sport? Steht der Sport bei der Bekämpfung von Diskriminierungen an der Spitze oder ist er im Rückstand? Pünktlich zur Fussballweltmeisterschaft widmet das TANGRAM seine neue Ausgabe einem Thema, das in den betroffenen Kreisen zuweilen tabuisiert wird. Fussball, Basketball, Radsport, Eishockey und Capoeira (Kampfsport) sind die Disziplinen, in denen die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) nachgefragt hat.)
– fare-network: Football against racisme Euorpe Link
– Interview mit Lilian Thuram über sein Buch «Das weisse Denken» in der WOZ vom 31.3.22 Link
Kinder- und Jugendbücher
Kinder- und Jugendbücher mit BIPoC-Protagonist*innen
Inzwischen gibt es eine Vielzahl Kinder- und Jugendbücher mit BIPoC-Protagonist:innen als Held:innen. Eine Auswahl (mit Altersangaben) davon findet man unter Vor.Bilder.Bücher auf Instagram. Es ist ein Projekt von Bla*Sh, das von Rahel El-Maawi weitergeführt und kuratiert wird.
Mit der Lektüre entsprechender Texte kann bei allen Schüler:innen stereotypen Bildern entgegenwirkt und BIPoC-Schüler:innen gestärkt werden.
Tim und Struppi im Kongo und der Waadländer Grosse Rat
Der Band Tim und Struppi im Kongo enthält unzählige stereotype, abwertende, rassifizierte Darstellungen von kongolesischen Menschen. Die Originalausgabe von 1931 wurde mehrfach überarbeitet, aber auch in der neusten überarbeiteten Ausgabe von 2019 schockiert die Lektüre.
Material für den Unterricht:
2021 kam es im Waadtländer Grossen Rat zu einem Skandal. Die Grossrätin Laurence Cretegny hatte eine Passage aus «Tim und Struppi im Kongo» in einem angeblich afrikanischen Akzent zitiert. Dabei handelte es sich um Aussagen, die auf der letzten Seite des Buches, eine besonders erschreckend rassistische Darstellung, abgedruckt sind. Frau Cretegny wies den Vorwurf des Rassismus von sich und entschuldigte sich «bei den Leuten, die das Zitat beleidigt habe». Das ganz fand im Rahmen der Verabschiedung eines Kollegen statt, der ein Fan von Tim und Struppi sei.
Artikel dazu im Tages-Anzeiger Link
Quelle: Den Ausschnitt aus der Rede von Laurence Cretegny kann man hier anhören.
Globi
Patricia Purtschert zeigte in ihrem Artikel «De Schorsch Gaggo reist uf Afrika» 2012 postkoloniale Konstellationen in einzelnen «Chasperli-» und «Globigeschichten» auf. Zentral ist darin die Analyse der Reaktionen auf die Kritik am Rassismus in diesen Kinderbüchern im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.
Die Verbindung von Globi und Globus in Bern. Siehe bern-kolonial.ch Link
Material für den Unterricht
Analyse Schweizer Comics (Globi)
Im Modul «Koloniale Interpretationsmuster in Schweizer Comics» geht es um die Analyse von Ausschnitten aus Globibüchern (Globi bei fremden Völker, Freund Globi im Urwald etc.). Diese Analyse wird vor dem Hintergrund der Debatte angeschaut, dass einerseits von antirassistischer Seite her die kolonialien, rassistischen Bilderwelten kritisiert wurden und andererseits von seiten der Verteidiger dieser Kinderbüchern den Kritiker:innen «übertriebene political correctness» vorgeworfen wurde.
Quellen und Text: Das Modul von Philipp Marti und Bernhard C. Schär ist Teil der folgenden Publikation: Kolonialismus und Dekolonisation in nationalen Geschichtskulturen und Erinnerungspolitiken in Europa. Module für den Geschichtsunterricht. Hsg. von Uta Fenske u.a. Frankfurt 2015. S. 255 – 26. Online ist das Modul unter folgendem Link zu finden Link
Literatur und Links mit weiterführende Informationen zum Thema Rassismus
«Rassismus» übergreifend
bpb. Texte auf bpb zum Thema Rassismus, z.B. Text von Ch. Koller Link
Das Phantom «Rasse». Zur Geschichte und Wirkungsmacht von Rassismus. Hrsg. N. Foroutan, S. Illmer u.a. Bonn 2018 (bpb). (Artikel z.B. von Ch. Geulen, J. Tanner, M. Terkessidis)
Geulen, Christian. Geschichte des Rassismus. München 2007.
(K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard. Münster 2019.
Koller, Christian. Rassismus. Paderborn 2009.
Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (Hsg.) Rassismusforschung I. Theoretische und interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld 2023. Link
Rassismus – Geschichte, Spuren, Kontinuitäten, lpb-bw 2021. Link Z.B. der Artikel von M. Terkessidis «Was ist Rassismus», S. 4-11
Refaeil, Nora. Formen und Dynamiken von Rassismus. (Anti-Schwarzen-Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit: Es gibt mehrere Ausdrucksformen von gruppenspezifischen Rassismen. Worin wurzeln sie, wie unterscheiden sie sich und wie hängen sie zusammen? Ein Überblick.) In Tangaram 44 (2020), S. 9ff. Link
Schär, Bernhard C. Rassismus, Liebes «Historisches Lexikon der Schweiz»! Wir haben gesehen, dass dir ein Eintrag zum Stichwort «Rassismus» fehlt. Wir haben deshalb einen Vorschlag formuliert. Gern geschehen! Woz vom 18. Juni 2020. (In dieser WOZ-Ausgabe hat es den Themenschwerpunkt «Rassismus».)
Tangaram 44 (2020). Zeitschrift der EKR. Rassismus im Jahr 2020. In dieser Publikation gibt es zahlreiche sehr interessante Artikel zu verschiedenen Aspekten des Themas. Link
Themenheft Rassismus. Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. 2023. Link
«Struktureller Rassismus»
Vega, Gina. Strukturellen Rassismus sichtbar machen. Tangaram 46, Oktober 2022. Link
Kappus, Elke-Nicole. Strukturelle Diskriminierung im Bildungssystem. Tangaram 46, Oktober 2022. Link
Für Deutschland:
Grenzen der Gleichheit: Rassismus und Armutsgefährdung. Kurzbericht des nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors. Berlin 7.5.2024. Link
«Rasse» – «Race»
Christian Geulen. Rassismus ohne ‚Rassen‘. Über eine Ideologie und ihren scheinbaren Grundbegriff. ind Geschichte der Gegenwart, Juli 2020.
Michel, Noémi. Rassismus «ohne Rasse». Tangaram 44 (2020) S. 84ff. Link
Tanner, Jacob. Ein Interview mit Jacob Tanner: Race und «Rasse». Politische Bedeutung und historischer Kontext. Das Phantom «Rasse». 2018 Bonn. S. 35 – 46.
Rassismus in der Schweiz
Dos Santos, Jovita und Stefanie Boulila. Was BLM für die Schweiz bedeuten. Zum ersten Mal prangert eine breite Öffentlichkeit strukturell verankerten Rassismus in der Schweiz an – und räumt mit helvetischen Mythen auf. Republik 23.6.2020.
Espahangizi, Kijan. Kann man Rassismus importieren? Flüchtlinge und die „Hierarchie der Ausländer“ in den 1960er Jahren. Immer häufiger hört man, dass Einwanderer rassistische Einstellungen mitbringen. Selbst wenn das der Fall ist: Wie werden aus Haltungen Handlungen? Welche Rolle spielt dabei der strukturelle Rassismus in den Aufnahmegesellschaften? Die Schweiz bietet dazu ein aufschlussreiches historisches Beispiel. Geschichte der Gegenwart 18.6.2020.
EKR: Zum zwanzigjährigen Jubiläum der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus wurde eine Reihe von Podcasts zum Thema «Wo steht die Rassismusbekämpfung heute? Und wie soll sie sich weiterentwickeln?» veröffentlicht.
Fachstelle für Rassismusbekämpfung. Monitoring. Auswertungen zu rassistischer Diskriminierung. In der Broschüre «Rassismus in der Schweiz: Zahlen, Fakten, Handlungsbedarf» werden die Ergebnisse übersichtlich aufgezeigt. Feb. 2024, Link
Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes hat unter dem Titel «Antirassismus einfach komplex» eine Podcastreihe «Reden wir! 20 Stimmen zu Rassismus veröffentlicht.
Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz, Dez. 2022, Uni Neuenburg Link. Klare Begriffsdefinitionen mit breiter inhaltlicher Abdeckung des Themas. Ein Kapitel zu Rassismus im Bildungsbereich. (Kurzfassung Grundlagenstudie: Struktureller Rassismus in der Schweiz Link)
ImagiNation. Rassismus gestern und heute. Fachtagung 2021 von GGGMigration. Literaturliste Link
Vo Da. Siehe Texte und Zitate auf der Seite von Vo Da
Tangaram 44 (2020). Zeitschrift der EKR. Rassismus im Jahr 2020. In dieser Publikation gibt es zahlreiche sehr interessante Artikel zu verschiedenen Aspekten des Themas. Link
Rassismus und Zürich
Wie geht die Zürcher Stadtverwaltung mit Rassismus um? Rassismusbericht 2022. Link
Rassismus?In der Stadt Zürich? im Jahresbericht der Ombudsstelle Zürich 2021, S. 16ff. Link
Sendungen zum Thema Rassismus in der Schweiz
Warum es uns schwerfällt, über Rassismus zu sprechen. SRF, Input 17.5.23 Link
DOK-Film: Schwarzsein in der Schweiz – Rassismus im Alltag 2023 Link »
«Es ist sehr, sehr schwierig über Rassismus zu reden in der Schweiz. Er wird verneint, aber trotzdem ist er täglich präsent.» Das sagt Evelyn Wilhelm, die Schwester von Roger Nzoy Wilhelm, der im Sommer 2021 in Morges am Bahnhof von einem Polizisten erschossen wurde.» In diesem Dokfilm erzählen rassismusbetroffene Personen von ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus und strukturellem Rassismus. Letzterer wird insbesondere im Zusammenhang mit der Erschiessung von Roger Nzoy Wilhelm durch Polizisten aufgezeigt.
In der 10 vor 10 Sendung vom 18.6.2020 gab es einen Fokus Rassismus. U.a. werden sechs junge PoC interviewt, die über ihre Erfahrungen mit Rassismus in der Schweiz sprechen. Zusätzlich wird Rahel El-Maawi interviewt, die die Thematik theoretisch kontextualisiert. Link