Das Projekt
Das Projekt
Die unglaubliche Anzahl von 40.000 Objekte aus Kamerun werden heute in öffentlichen Museen der Bundesrepublik Deutschland aufbewahrt. Zum Vergleich: Im British Museum gibt es 69’000 Inventarnummern für alle Länder Afrikas südlich der Sahara, im Ethnologischen Museum in Berlin sind es 75’000. Die 40’000 Objekte sind auf zahlreiche Museen über ganz Deutschland verteilt, so umfasst allein die Kamerun-Sammlung des Linden-Museums über 8000 Objekte. Hinzu kommen noch hundertausende Bild/Film und Audioaufnahmen und tausende von Fragmenten kamerunischer Menschen, die nach Deutschland gebracht worden sind. Eine zentrale Erkenntnis der Recherche ist, dass es weltweit keinen Staat gibt, der mehr Objekte aus Kamerun in öffentlichem Besitz hält als die Bundesrepublik Deutschland. Die Anzahl Objekte, die sich im öffentlichen Besitz in Deutschland befinden, übertreffen Bestände in den staatlichen Sammlungen in Kameruns Hauptstadt Yaoundé um ein Vielfaches. Diese Sammlungen weisen mit ca. 6000 Objekten die »typische« Größe für das Nationalmuseum einer ehemals von Frankreich kolonisierten Region auf. «Der »deutsche« Kamerun-Bestand ist zugleich der älteste weltweit, da hier bereits ab 1884 systematisch oft bereits sehr alte Kulturgüter entzogen und en masse ins Deutsche Reich abtransportiert wurden, die dann für die nachfolgenden Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien nicht mehr greifbar waren.» Link
IHVZ Atlas der Abwesenheit

Verteilung der Objekte weltweit. Atlas der Abwesenheit, S. 12/13.
Wie umgehen mit geraubten Kulturgütern
Restitution? Wie? Mit wem verhandeln?
An einer Diskussion an der TU Berlin zum Auftakt der Konferenz „Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ fragt der kamerunische Historiker Prince Alexander Kum’a Ndumbe III Lars-Christian Koch, den Leiter des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum: „Wer sind denn ihre afrikanischen Partner? Museen?“ Kum’a Ndumbe, der dem kamerunischen Königshaus der Bele Bele angehört, fährt fort: „Das Museum ist ein europäisches Konzept. Die Agencies wurden aus Königshäusern und heiligen Stätten geraubt, nicht aus Museen. Die Seele der kamerunischen Völker ist nicht in den Museen. Warum sind also das die Partner der Europäer? Europa sucht nach einem Ebenbild in Afrika.“ … „Deutschland ist voll, Kamerun ist leer. Die Objekte müssen zurück. Wir brauchen sie, um uns zu rekonstruieren“, sagt die kamerunische Germanistin Maryse Nsangou Njikam. Dass die geraubten Kulturgüter wieder an Kamerun zurückgegeben werden müssen, ist auf dem Podium Konsens. Tagesspiegel 2.6.23
Der Raub von Kameruns Kulturerbe: Wahn und Wissenschaft, Jörg Häntzschel, 5.6.23 Link
Interessanter Artikel zum Projekt in der sz: Eignet sich auch als Lektüre im Unterricht. Es geht um ausgewählte Ergebnisse der Studie zum kolonialen Kontext und welche Bedeutung diese Ergebnisse für den zukünftigen Umgang mit den «Agencies» haben sollten, siehe Thema Restitution.
Dialogtreffen am Stuttgarter Linden-Museum im Januar 2024, weitere Treffen werden folgen.
Am 16. Januar 2024 fand ein Dialogtreffen am Stuttgarter Linden-Museum statt. Daran haben elf deutsche Museen, kamerunische Delegierte des Interministeriellen Komitees für die Rückführung illegal ausgeführter Kulturgüter sowie Vertreter*innen traditioneller Königshäuser aus Kamerun teilgenommen.
Siehe z.B. Beitrag auf SWR vom 16.1.24
Interview mit Bénédicte Savoy zum Thema, SWR 16.1.34 Link
Material für den Unterricht
Dieser Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland enthält sehr viel ausgesprochen interessantes Material um auch an Schweizer Schulen über die Frage der Provenienz, Restitution und ganz grundsätzlich über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit zu diskutieren.
Verteilung der Gegenstände in Deutschland und weltweit: Wo, warum, wieviel – wie wenig in Kamerun selber?
Karten und Statistiken: Auch in Schweizer Museen hat es Bestände, insbesonder in Basel ist eine grössere Anzahl zu finden. Es waren auch Vertreter der Basler Mission bei der Beschaffung / dem Raub dieser Gegenstände involviert.
Akteur:innen
Interessant sind die ein- bis zweiseitigen Biografien im Anhang, z.B.
- GONG NAR (Ngrté III) , alias Ngute/Ngutt, kamerunischer Widerstandskämpfer. S. 389
- KUM’A MBAPE BELE ba DOOH, alias LOCK PRISO, kamerunischer Widerstandskämpfer verwandt mit Rudolf Duala Manga Bell (Siehe Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland hier)
- NJAPNDUNKE (NJAPDOUNKÉ), Regentin in Foumban, Königsmutter. Starke Herrscherinnenpersönlichkeit. Zahlreiche Gegenstände aus ihrem Besitz sind heute im Berliner Museum.
- NJOYA (NZUEYA), Ibrahim Mbouombouo, Sultan der Bamun in Foumban. Sohn von Njapndunke, die ihn weiter berät. Er «schenkte» den Thron Mandu Yenu, der im ethnologischen Museum in Berlin steht Wilhelm II.
- Verschiedene weitere kamerunische Herrscherpersönlichkeiten
- KELLER, Jakob. Er war von 1890 bis 1914 während der deutschkamerunischen Kolonialepoche in der Kolonie und spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau der Basler Mission vor Ort. «Keller war für einen der umfangreichsten missionarischen Raubzüge in der deutsch-kamerunischen Kolonialgeschichte verantwortlich, über den sich heute noch Nachweise finden lassen.» S. 394.
- WUHRMANN, Anna (ab 1923: Rein-Wuhrmann). Basler Mission – Missionarin in Foumba
Agencies – (Objekte)
Savoy schlägt vor, den englischen Begriff „Agency“ zu verwenden, um über die geraubten Kulturgüter zu sprechen. Es gibt einen Anhang mit verschiedenen Agencies(Objekten) mit Kurzerklärung.
Auswirkungen und Folgen dieses Kulturraubes und der Objektzerstörungen
Nebst dem Umstand, dass hunderttausende von Objekten aus dem Gebiet des heutigen Kameruns in den Westen gebracht wurden, gab es auch das verbreitete Vorgehen von Mitgliedern der Basler Mission rituelle Gegenstände öffentlich zu verbrennen. «Das Verbrennen von Gegenständen in sogenannten ‹Götzenfeuern› war in der frühen Phase der Mission eine gängige Praxis, gegen das ‹Heidentum› vorzugehen (vgl. Nehring 2010: 30). Mit den Verbrennungen, oder ‹Autodafés›, sollten nach christlichem Verständnis die Seelen gereinigt werden (vgl. Fischer 2015: 187). Gleichzeitig sollten sie öffentlich den Erfolg der Missionare in ihrem Kampf gegen das ‹Heidentum› symbolisieren.» Link
In mehreren Artikeln im Atlas der Abwesenheit wird die Thematik der Auswirkungen und Folgen dieses enormen kulturellen Verlusts in den Herkunftsgesellschaften im heutigen Kamerun diskutiert. Dieses Thema kann auch mit Schüler:innen sehr gut angeschaut und diskutiert werden.
Restitution
Das Thema Restitution kann beispielsweise an den folgenden zwei Objekten besprochen werden. Zu beiden ist bereits einiges geschrieben worden und verschiedene Parteien haben sich aktiv für eine Restitution eingesetzt.
Thron Mandu Yenu der Bamun aus Fumban
Beim Thron Mandu Yenu der Bamun aus Fumban handelt es sich um den Thron des Sultans in der Stadt Fuban. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang er als «Geschenk» an Wilhelm II. nach Deutschland. Anhand dieses Objekts lässt sich sehr gut die Frage diskutieren, wie freiwillig dieses «Geschenk» im Kontext der kolonialen Machtverhältnisse tatsächlich war.
Worddokument mit Bildern, Texten und Links für den Unterricht
Ngonnso
Die als Ngonnso’ bezeichnete weibliche Statue stammt aus dem historischen Königreich Nso’ im Nordwesten Kamerun. Die historische Anführerin Ngonnso ist Gründerin und spirituelle Leitfigur der Nso. Unter ihrer Führung stiegen die Nso Anfang 15. Jahrhundert zu einer einflussreichen Gruppe auf. Nach ihrem Tod um 1421 wurde sie zur «spirituellen Leitfigur und alle Lebensbereiche der Nso (geistig, politisch, allgemein) richteten sich nun nach ihrer Anwesenheit und ihren Ideen. Ngonnsos Lebenskraft nahm die Gestalt einer mit Kauris überzogenen Skulptur an – diese waren damals eine der Tauschwährungen der Nso und zeugten nicht nur vom hohen Wert, sondern auch von der Unschätzbarkeit der Figur. Denn die Ngonnso Statue war nicht nur spirituell aufgeladen; sie gab den Nso auch ihre politische Ordnung und diente ihnen als Brücke zwischen dem 1. Nso oral history. Diesseits und der Welt der Ahnen.»
Nach Rückgabeforderungen während der letzten 40 Jahren wurde 2022 beschlossen, die Statue zurückzugeben.
Fogha MC. Cornilius Refem (Wan Wo Layir). Den Tod bejahen, um dem Leben Platz zu machen. Warum wir Restitutionen wollen. Atlas der Abwesenheit, S. 332 – 341. Link