Provenienzforschung allgemein
Provenienzforschung
Heidelberger Stellungnahme 2019
(Jahreskonferenz der Direktor:innen der Ethnologischen Museen im deutschsprachigen Raum)
«Im deutschsprachigen Raum bewahren mehr als zwanzig öffentliche ethnologische und Weltkulturen-Museen, Universitätsmuseen und -sammlungen sowie ethnologische Abteilungen in Mehrspartenmuseen eine bedeutende Anzahl an Sammlungen mit kulturellen Artefakten, Fotografien, Film- und Tondokumenten sowie Schriftarchiven. … Es versteht sich von selbst, dass aufgrund von Unrecht im Moment des Herstellens oder Sammelns in die Museen gelangte Objekte – wenn dies von Vertreter/innen der Urhebergesellschaften gewünscht wird – zurückgegeben werden sollten. Möglichkeiten einer Restitution sollten ferner auch da verhandelbar sein, wo Objekte für die Herkunftsgesellschaften einen hohen Wert haben. … Alle Weltkulturen- und ethnologischen Museen und Sammlungen verstehen es als ihre Aufgabe, ein grösstmögliches Maß an Transparenz im Umgang mit der Geschichte und dem Inhalt der Sammlungen zu gewährleisten, mit kooperativer Provenienzforschung als allgemeinem Standard.» Link
Schweizerischer Arbeitskreis Provenienzforschung
«Provenienzforschung wird als eine Auseinandersetzung mit den historischen Erwerbungskontexten von Artefakten und Sammlungen begriffen. Dazu zählen die Untersuchung der Schweizer Kulturpolitik, von Erwerbungen für private und öffentliche Sammlungen sowie von transnationalen Verflechtungen des Kulturgütertransfers, insbesondere in Unrechtskontexten von Kolonialherrschaft oder dem NS-Regime. Die Rolle der Schweiz als politisch neutraler Staat im internationalen Gefüge, die hohe Dichte an öffentlichen und privaten Sammlungen sowie der Spitzenplatz auf dem internationalen Kunstmarkt sind gewichtige Gründe, Forschungen in diesen Bereichen voranzutreiben.» Webseite Schweizerischer Arbeitskreis Provenienzforschung
Provenienzforschung im Museum II. Sammlungen aus kolonialen Kontexten Grundlagen und Einführung in die Praxis. 2022. Publikation des Verbands Schweizer Museen zum aktuellen Stand der Provenienzforschung in der Schweiz. Link
Auf der Webseite des Verbands Schweizer Museen wird festgehalten, dass sie die die Schaffung einer unabhängigen Kommission auf Bundesebene grundsätzliche begrüssten. Allerdings erachten sie es als problematisch, dass die Kommission zugleich für Fälle im Zusammenhang mit Objekten aus kolonialen Kontexten angerufen werden solle. Diese Fragestellungen erfordere eine andere Expertise als die Beurteilung von Fällen im Bereich von NS-Raubkunst. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Kommission erst in strittigen Fällen tätig werden solle. Es wäre unabdingbar, dass den Museen bereits vorher eine Anlaufstelle für unbürokratische Beratung angeboten würde. Ein solches niederschwelliges Angebot wäre eine wertvolle Hilfestellung und könnte im besten Fall sogar eine Eskalation bis zur Anrufung der unabhängigen Kommission verhindern. Link
Provenienzforschung und Restitutionsthematik im Schweizer Parlament
A) 2021: «Motion Pult»
Aus einer Anfrage vom 5.5.2021: «In einem Schreiben vom 11. Februar 2021 an das BAK erklärten sich 24 Professor*innen, Museums- oder Sammlungsdirektor*innen, Kurator*innen und Spezialist*innen auf dem Gebiet der während der Kolonialzeit geraubten Kulturgüter aus der ganzen Schweiz bereit, an der Umsetzung der Motion mitzuwirken, die ihrer Meinung nach einem echten Bedürfnis entspricht.»
Überblick über Parlamentarische Vorstösse zum Thema NS-Raubkunst (auch kolonialer Kontext) ab 2010 Link
B) 2023 Verordnung des Bundesrates zur Schaffung einer unabhängigen Kommission für historisch belastetes Kulturerbe
2023 hat der Bundesrat eine unabhängige Kommission für historisch belastetes Kulturerbe geschaffen. 2025 hat das Parlament eine unabhängige Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe mit zweiseitiger Anrufbarkeit gesetzlich festgeschrieben. (Verordnung)
C) 2025 Annahme der Ergänzung im «Kulturgütertransfergesetzt» in der Bundesversammlung
Aus der Debatte im NR
Regina Durrer, NR, 19.3.25: «Es geht um die zu schaffende Kommission, welche die Provenienz von Kulturgütern untersuchen soll, die kolonial oder nationalsozialistisch belastet sind. Der Ständerat hat an seiner Sitzung vom 18. März 2025 an seinem Beschluss festgehalten, der besagt, dass die einseitige Anrufbarkeit nur für Kulturgüter mit nationalsozialistischem Kontext gilt, die sich in Museen oder Sammlungen befinden, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Für alle anderen, insbesondere Kulturgüter, die sich im Privatbesitz befinden oder kolonialen Hintergrund haben, soll die zweiseitige Anrufbarkeit gelten.»
Die Rechtsgrundlagen für eine nationale Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe sind bereinigt und die Änderung im Kulturgütertransfergesetzt gutgeheissen. Die Kommission beschäftigt sich mit Objekten mit einem Kontext zur Kolonialzeit und zum Nationalsozialismus. Sie kann aber nicht immer einseitig angerufen werden. Anders als vom Bundesrat und Nationalrat ursprünglich gefordert, kann nur bei Kulturgütern mit Kontext mit dem Nationalsozialismus, die sich in öffentlichen Museen und Sammlungen befinden, eine Partei an das Gremium gelangen. Diese Möglichkeit besteht in Bezug auf Objekte in privaten Sammlungen nicht. (SDA Meldung Parlament)
Siehe zur einseitigen Anrufung beispielsweise der Antrang der Minderheit im Nationalrat 19.3.25 vertreten durch Katharina Prelicz-Huber. «Damit sie als Kommission eine Wirkung haben kann, ist es eigentlich klar, dass sie einseitig sollte angerufen werden können, wie es auch der Bundesrat vorgeschlagen hat.»
Internationale Vernetzung – Datenbanken zur Provenienzforschung
Viele Museen erforschen mittlerweile, wo ihre Objekte herkommen. So entstehen Datenbanken, die vom „Provenance Lab“ der Uni Lüneburg miteinander verbunden werden. (taz, 22.3.25)
Provenienzforschung in Schweizer Museen
BERN
Bernisches Historisches Museum
Projekt: Spuren kolonialer Provenienz (2021-22) In diesem Projekt standen die ethnografischen Sammlungsprovenienzen am Bernischen Historischen Museum im Zentrum. (Archivbestandes Rudolf Zellers) Zellers systematischer Aufbau der ethnografischen Sammlungen am Bernischen Historischen Museum fiel in eine Hochphase kolonialer Expansion Europas (erste Hälfte 20. Jh.) und die Erforschung seines umfangreichen Archivbestandes suchte nach Hinweisen zu Provenienzen von Sammlungsobjekten, deren Besitzwechsel möglicherweise im Zusammenhang mit Unrechtskontexten geschah. Schlussbericht
Benininitiative. Das BHM ist eines der 8 Schweizer Museen, die sich an diesem Forschungsprojekt beteiligen.
ZÜRICH
Rietbergmuseum
2018/19: Ausstellung Die Frage der Provenienz: Einblicke in die Sammlungsgeschichte.
Diese Ausstellung war Teil der Sammlung, in dem sie sich auf 10 Gegenstände in der Dauerausstellung und dem Depot bezog. Das ausführliche Handout (46 S.) ist auf der Seite des Rietbergmuseums einsehbar.
2022/23: Wege der Kunst: Wie die Objekte ins Museum kommen.
«Im Fokus stehen somit die Provenienzen, also die Herkunftsgeschichten der Objekte, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Eng mit den Objektbiografien verbunden sind die vielschichtigen Begegnungen und Beziehungen zwischen Menschen, Institutionen und Ländern, die im Rahmen der Ausstellung näher beleuchtet werden.» Link
Keynote von Sammy Baloji als Auftakt zur internationalen Konferenz «Reworking the Archives» 2023
«Sammy Baloji befasst sich seit der Ausstellung «Fiktion Kongo» mit dem vielfältigen Archiv von Hans Himmelheber. In seiner Keynote zur Eröffnung der dreitätigen internationalen Konferenz «Reworking the Archives. Hans Himmelheber and African Art/ists» gibt er einen Einblick in sein Kunstschaffen und seine Auseinandersetzung mit kolonialen Sammlungen und Archiven. Für seinen Zyklus Kasala liess sich Baloji von Himmelhebers Reise in die belgische Kolonie Kongo im Jahre 1938/39 inspirieren und stellte sich die Fragen: Was geschieht mit Objekten aus Afrika, die ihres kulturellen Kontextes beraubt in Museen des globalen Nordens gelandet sind? Wie können die Objekte ihre Stimme zurückerhalten? Welche alternativen Formen der Erinnerung gibt es?» Link
Völkerkundemuseum Zürich
Projekt: Werkstattreihe – 5 Fragen an die Sammlungen (2022-2024) «Woher kommen unsere Sammlungsbestände? Welche Geschichten haften ihnen an? Welche Könnerschaft steckt in den Objekten? Von welchen menschlichen Begegnungen sind sie Zeugnis? Und welche Bedeutungen haben die Sammlungen heute? Mit der Ausstellungsreihe «Fünf Fragen an die Sammlungen» denken wir aktuell das Museum als offene Werkstatt, als Raum, in dem Wissen gemeinsam erarbeitet und geteilt wird. Wir machen unsere Museumsarbeit sichtbar und laden dazu ein, die Sammlungen und Objekte aus immer neuen Perspektiven zu betrachten.»
Beispiel: 5 Fragen an Objekte aus China am Ende der Kaiserzeit. «Der Boxerkrieg in China endete 1901 mit mehr als 100’000 Toten, Unmengen an zerstörtem Kulturgut in Peking und geplünderten Objekten, die in Museen und Sammlungen der westlichen Welt gelangten. Eine neue Werkstatt-Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich nimmt mögliche Plünderware aus China in den Fokus. Wie soll damit umgegangen werden und was bedeuten die Objekte für heutige Chinesinnen und Chinesen?» Parallel dazu läuft ein Forschungsprojekt, das einen Überblick über Objekte aus dem Boxerkrieg, die sich in der Schweiz befinden, schaffen und überprüfen soll, warum und unter welchen Umständen sie in Schweizer Museen gelangt sind. Die gewonnenen Erkenntnisse werden fortlaufend in die Ausstellung einfliessen.
Völkerkundemuseum Zürich
Projekt: Werkstattreihe – 5 Fragen an die Sammlungen (2022-2024) «Woher kommen unsere Sammlungsbestände? Welche Geschichten haften ihnen an? Welche Könnerschaft steckt in den Objekten? Von welchen menschlichen Begegnungen sind sie Zeugnis? Und welche Bedeutungen haben die Sammlungen heute? Mit der Ausstellungsreihe «Fünf Fragen an die Sammlungen» denken wir aktuell das Museum als offene Werkstatt, als Raum, in dem Wissen gemeinsam erarbeitet und geteilt wird. Wir machen unsere Museumsarbeit sichtbar und laden dazu ein, die Sammlungen und Objekte aus immer neuen Perspektiven zu betrachten.»
Beispiel: 5 Fragen an Objekte aus China am Ende der Kaiserzeit. «Der Boxerkrieg in China endete 1901 mit mehr als 100’000 Toten, Unmengen an zerstörtem Kulturgut in Peking und geplünderten Objekten, die in Museen und Sammlungen der westlichen Welt gelangten. Eine neue Werkstatt-Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich nimmt mögliche Plünderware aus China in den Fokus. Wie soll damit umgegangen werden und was bedeuten die Objekte für heutige Chinesinnen und Chinesen?» Parallel dazu läuft ein Forschungsprojekt, das einen Überblick über Objekte aus dem Boxerkrieg, die sich in der Schweiz befinden, schaffen und überprüfen soll, warum und unter welchen Umständen sie in Schweizer Museen gelangt sind. Die gewonnenen Erkenntnisse werden fortlaufend in die Ausstellung einfliessen.