Begrifflichkeit: Jenische, Sinti:zze und Rom:nja
Jenische, Sinti:zze und Rom:nja (Schweiz)
Eigenbezeichnungen – Fremdbezeichnungen
Auf der Webseite «stiftung-fahrende.ch» wird in einem Artikel von Guadench Dazzi «Bezeichnungen in den Landessprachen» auf die Selbst- und Fremdbezeichnungen eingegangen.
«Die heute gebräuchliche Selbstbezeichnung «Jenisch» wurde seit dem 18. Jahrhundert vorerst als Begriff für das Idiom fahrender Bevölkerungsgruppen verwendet. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts übertrug sich das Wort von der Sprache auch auf ihre Sprecher. Nach 1950 wurde es zunehmend in Abgrenzung zu den anderen, meist diffamierenden Ausdrücken verwendet. So nannte sich 1971 die erste Interessensorganisation für die Anliegen der Fahrenden «Jenischer Schutzbund».»
Weitere Begriffe, die in der Umgangssprache verwendet wurden, wurden als «Fluch- und Schmachwörter» verwendet und haben verunglimpfenden Charakter. Am bekanntesten ist der Begriff «Z***». Der Begriff wurde seit dem Spätmittelalter eingesetzt und ist ein Sammelbegriff für alle fahrenden Gruppen. Der Begriff «tsigan» geht auf das griechische Wort für «unberührbar» zurück und war z.B. im Rumänischen lange gleichbedeutend mit «Sklave».
Aktuelles Beispiel zum Thema des «Z-Begriffs»
Venaz Nobel weist auf eine regelmässig auftretende Problematik in öffentlichen Debatten zur Verwendung von Bezeichnungen für Gruppen auf. Oft wird ohne Vertreter:innen der Minderheiten diskutiert und es handelt sich um eine Stellvertreter-Debatte. Nobel schreibt u.a.: «Ich hege die Befürchtung, dass «die Z» ungefragt, aber öffentlich missbraucht werden, für eine Schlammschlacht in der sie nur Statisten sind.» bajour, 15.6.23
Was ist die Vorgeschichte zu dieser Debatte zur Verwendung des «Z-Begriffs» im Jahr 2023. Der Autor Alain Claude Sulzer wirft dem Fachausschuss Literatur beider Basel in der NZZ am Sonntag «Zensur» vor. Er reichte beim besagten Fachausschuss ein Fördergesuch ein und erhielt Post mit der Bitte, seine Überlegungen zum «Z-Begriff» in einer Textstelle zu erläutern, da der Duden «den Gebrauch des Wortes als diskriminierend» bezeichne. Der Schriftsteller beantwortete die Frage nicht und zog sein Gesuch zurück. Die Diskussion findet nun in den Medien statt, weitgehendst ohne die Stimmen der entsprechenden Minderheit.
Materialien für den Unterricht
Didaktische Hinweise in den Lehrmaterialien der PHZH von 2023: Jenische, Sinti, Roma. Zu wenig bekannte Minderheiten in der Schweiz. Ein rassismuskritisches Lehrmittel. Link
Film:
Ruäch. Eine Reise ins jenische Europa. Dokfilm 2022. Link
«Ruäch ist eine absolut bewegende Dokumentation, die die Jenischen konsequent selbst zu Wort kommen lässt und so überraschende Einblicke in ihren Alltag und die anhaltende Diskriminierung ermöglicht.» Aram Mattioli, Historiker Universität Luzern
Weiterführende Informationen:
Stiftung-Fahrende: Auf dieser Webseite hat es zahlreiche Informationen zur Begrifflichkeit und Geschichte link
Jenische, Sinti/Manouches und Roma. Themendossier und Factsheet (2021) auf der Webseite der EKR)
Bezeichnungen in den Landessprachen, Guadench Dazzi, auf der Webseite «stiftung-fahrende.ch» link
Zur Wortgeschichte von «jenisch» von Willi Wottreng, 2019 auf der Webseite «Radgenossenschaft der Landstrasse» link
Jenische und Sinti als nationale Minderheit. Informationen auf der Webseite des Bundesamtes für Kultur link. Auf dieser Seite findet sich auch eine Liste von Organisationen link
Informationen zur Begrifflichkeit in Deutschland
siehe auf dieser Webseite unter «Postkoloniales Europa – Deutschland» Sinti:zze und Rom:nja
Allgemeine Informationen zur Geschichte bis heute
Geschichte der Jenischen, Sinti:zze und Rom:nja in der Schweiz
In der Schweiz leben zwischen 30’000 und 40’000 Jenische und einige tausend Sinti:zze.
Links und Literatur
Stiftung Fahrende link: Auf dieser Webseite hat es eine Fülle an Informationen über die Geschichte und die aktuelle Situation und z.B. einzelne Biografien.
Radgenossenschaft der Landstrasse link
Naschet Jenische link
Informationen zu Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland siehe auf dieser Webseite Link
Von Menschen und Akten. Die Aktion «Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute. Thomas Meier, Sara Galle. Zürich 2009.
Roma, Sinti und Jenische: schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus. Hsg. Huonker, Thomas. Bern : Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg . – Bern : BBL 2000.
20. Jahrhundert: Kinder der Landstrasse
Aktion «Kinder der Landstrasse»
«Zwischen 1926 und 1973 nahm die Stiftung Pro Juventute in Zusammenarbeit mit den Behörden mehrere Hundert Kinder aus jenischen Familien ihren Eltern weg mit dem Ziel, die Kinder zu sesshaften und – in damaligen Worten – «brauchbaren» Menschen zu erziehen. Zu diesem Zweck gründete sie das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse». Die von der Pro Juventute despektierlich als «Vaganten» bezeichneten Familien und Kinder kamen hauptsächlich aus vier Kantonen, rund die Hälfte aus Graubünden. Die «Kinder der Landstrasse» wurden in Pflegefamilien, meist aber in Heimen und Anstalten untergebracht. Viele von ihnen erlebten schwere Formen von Gewalt. Den Eltern wurde direkt das Sorgerecht entzogen.» (Stiftung Fahrende)
Der Historiker Thomas Huonker verweist darauf, dass die damalige Praxis in einer rassenhygienischen Theorie verwurzelt sei, deren Erforschung und Anwendung in der Schweiz mit besonderem Eifer vorangetrieben worden sei. In der Klinik Waldhaus in Chur etwa haben mehrere Psychiatergenerationen bis Anfang der 1980er Jahre ein Sippenregister der Jenischen geführt, um die Entwicklung der Familien genauer zu erforschen. NZZ
Weitere Informationen:
«Bundesamt der Kultur», z.B. mit Etappen der Aufarbeitung
Meier, Thomas und Sara Galle. Von Menschen und Akten. Die Aktion «Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute. Zürich 2009.
Huonker, Thomas: Diagnose: «moralisch defekt». Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie 1890–1970. Zürich 2003.
«Kinder der Landstrasse» – Völkermord
Nov. 2021: Die «Union der Vereine der Vertreter der Schweizer Nomaden» («Union des Associations et Représentants des Normades Suisse»; U.A.R.N.S.) und weitere Mitunterzeichnende ersuchten die Schweiz am 5. November 2021 um Anerkennung «de[s] kulturellen Völkermord[s] / Ethonzid[s] […] an den Schweizer Jenischen und Sinti» durch die «Aktion Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute (1926–1973).
Januar 2024: In einem offenen Brief an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider fordern jenische Organisationen, dass die Schweiz die Aktion «Kinder der Landstrasse» offiziell als kulturellen Völkermord verurteilt.
Juli 2024: Ein Rechtsgutachten soll klären, was für eine Rolle die offizielle Schweiz bei der Aktion «Kinder der Landstrasse» des Hilfswerks Pro Juventute gespielt hat. Es soll untersucht werden, ob die Schweiz an Jenischen oder Sinti einen Völkermord oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe. SRF